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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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kein Ausländer gewesen und unsere Lage weniger prekär, hätte ich in diesem Moment beschlossen, dass Sulfia eigentlich auch ohne Mann in Frieden alt werden konnte.
    Dieter hatte einen Gesichtsausdruck, der die Kleinkriminellen auf der Straße nur so anziehen musste. Sein Lächeln sagte: »Ich bin hier neu und habe keine Ahnung. Bitte nehmt mein ganzes Geld und schlagt mir ordentlich auf den Kopf.«
    Ich bat ihn mit einem zuckersüßen Lächeln, von dem mir die Mundwinkel wehtaten, zu Tisch.
    Es war nicht ganz einfach, in diesen kargen Zeiten etwas auf den Tisch zu bekommen. Ich hatte altes, mehrmals tiefgefrorenes und wieder aufgetautes Rindfleisch aufgetrieben, doch mir fehlten Butter, Eier und saure Sahne. Ich hatte versucht, es mit Karotten und Kartoffeln und sauren Gurken aus meinem Garten auszugleichen. Wir setzten uns an den Tisch, und mir tat es bereits jetzt leid um meine Mühe und um mein Geld.
    Dieter saß Aminat gegenüber und sah sie unentwegt an.
    »Ist das auch Ihre Tochter?« fragte er mich in seinem lustigen Russisch.
    » Nein, das ist ihre Tochter «, ich zeigte auf Sulfia. Mein Deutsch wurde mit jedem Satz besser. » Wie geht es Ihnen?« fragte ich. »Tut Ihnen der Kopf noch weh ?«
    Ich füllte Dieters Teller mit einer Kwassuppe, in die ich Gemüse geschnitten hatte, eigentlich ein Sommergericht, aber dafür hatte ich nun mal die Zutaten. Dieter nahm seine Serviette, entfaltete sie und breitete sie auf seinem Schoß aus.
    »Glotz nicht so«, sagte ich tonlos zu Aminat.
    »Sie sieht Ihnen sehr ähnlich«, sagte Dieter zu mir.
    »Wer?« fragte ich.
    »Sie«, Dieter deutete mit seinem Löffel auf Aminat.
    »Das stimmt«, sagte ich voller Stolz.
    Dieter aß seltsam. Er spießte kleine Gemüsestücke mit der Gabel auf, ließ sie in den Mund gleiten und schloss die Augen. Während er kaute, bewegten sich die Augäpfel unter seinen geschlossenen Lidern. Wir wurden alle ein wenig verlegen. Sulfia und ich wandten gleichzeitig den Blick ab. Aminat prustete los.Ich trat sie unter dem Tisch. Dieter schluckte herunter und öffnete die Augen. Er nahm sein Weinglas, führte es an den Mund und roch ausgiebig daran.
    »Der Wein ist nicht verdorben«, beeilte ich mich zu sagen. Sulfia hatte ihn geschenkt bekommen, aber das sagte ich natürlich nicht. Dieter bewegte seine Augenbrauen, die wie zwei dicke Raupen in seinem Schweinegesicht herumkrochen, und nahm einen Schluck. Das sah widerlich aus: Anstatt runterzuschlucken bewegte er den Inhalt von einer Backentasche zur anderen, als mache er eine Spülung gegen Zahnschmerzen. Fehlte nur noch, dass er mit dem Wein zu gurgeln begann.
    »Ich habe gehört, Sie sammeln Rezepte«, sagte ich, damit er endlich aufhörte zu essen. Ich musste schon mit dem Brechreiz kämpfen. Sulfia hatte es leichter, als Krankenschwester war sie Schlimmeres gewohnt.
    Dieter schluckte den Wein endlich hinunter.
    »Oh ja, oh ja«, sagte er mit seinem Kinderstimmchen.
    »Und was machen Sie damit?«
    Er nahm einen Zipfel der Serviette, die auf seinem Schoß lag, und tupfte sich das Fett von den Lippen.
    »Ich schreibe ein Buch«, sagte er.
    »Und worüber, wenn ich fragen darf?«
    »Über Rezepte, nur Rezepte«, sagte Dieter. »Alte, originale Rezepte.«
    »Und wer soll dann die Rezepte nachkochen? Ihre Frau?« fragte ich hoffnungslos.
    »Ich bin ein Mensch, der nicht mit einer Frau verheiratet ist«, formulierte Dieter in seinem lustigen Russisch.
    »Dann also Ihre Mutter?«
    »Gott bewahre.«
    Ich bekam Kopfschmerzen. Dieter lächelte breit.
    »Ich koche«, sagte er. »Ich, ich, ich.«
    »Oh«, sagte ich. Ein ausländischer Idiot, als hätten wir hier nicht genug eigene.
    Ich konnte es kaum abwarten, dass er ging. Er blieb allerdings hartnäckig sitzen. Wahrscheinlich fühlte er sich auch noch wohl bei uns. Da er in so kleinen Bissen aß und sehr langsam kaute, dauerte es eine Ewigkeit, bis wir uns von einem Gang zum nächsten durchgearbeitet hatten. Ich wartete, dass er Fragen zu den Gerichten stellen würde, aber das tat er nicht. Er aß meine aus der Not geborenen Köstlichkeiten wie vorgestrigen Kartoffelbrei. Ich war aber auch ein bisschen erleichtert, dass ich ihm nicht Rede und Antwort stehen musste. Ich hatte versucht, mich an die Gerichte von Kalganows Familie auf dem Land zu erinnern, aber es war sicher nicht das, wofür sich der Deutsche interessieren könnte. Und um die Zutaten dafür zu bekommen, hätte ich schon zaubern müssen. Ich hatte mich entschlossen, notfalls einfach zu

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