Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
Dieter, wurden die Marmeladen mit Gelierzucker gekocht, ganz kurz, am Ende gab es eine quallenartige saure Masse. Ich dagegen schälte Äpfel und schnitt sie in Stücke, übergoss sie mit Zuckersirup und ließ sie lange stehen, dann kochte ich alles auf, ließ es wieder abkühlen, stundenlang stehen, alles dreimal hintereinander. Die Apfelstücke waren von einer durchsichtigen Schönheit, die Sonne schimmerte durch sie hindurch, und sie entließen das Aroma des Sommers auf die Zunge.
    Wir aßen Marmelade zum Tee, weil wir sonst nichts Süßes hatten. Nach einem Gespräch über Kochkunst stand Dieter auf und ging, wie zufällig, in Aminats Zimmer. Er sagte, dass er mit einem Kind besonders gut Russisch sprechen könne, er lerne so ganz anders, und am liebsten von Aminat. Und dass sie eine schöne Stimme hätte, er würde ihr sehr gern zuhören, leider höre sie immer auf zu singen, sobald sie das merke. Dass Aminat seine Besuche hasste, konnte nur einer Blinden wie Sulfia entgehen.
    Ich hatte mit Aminat darüber gesprochen, wie schwer die Zeiten waren. Dass wir alle die Zähne zusammenbissen und auch zu Menschen freundlich waren, die wir eigentlich unangenehm fanden, weil wir dann vielleicht ein besseres Leben haben konnten.
    Aminat hörte mir zu, ohne mich anzusehen. Wir hatten uns noch nicht wieder angenähert. Ich rechnete dennoch mit ihrer Einsicht. Gelegentlich nahm ich, wenn ich mit Aminat unterwegs war, einen Umweg über das Zigeunerdorf, ein paar Straßen Rückständigkeit mitten in unserer Stadt. Dort spielten dreckige schwarzhaarige Kinder, die im Winter mehrere Lagen Wolltücher über ihren löchrigen Jacken trugen. Sie schrien aus heiseren Kehlen in einer unverständlichen Sprache und bewarfen Passanten mit Steinen. Ich wusste, dass Aminat aus unerfindlichen Gründen davon ausging, dass diese Zigeunerkinder Tataren waren und daher alle mit uns verwandt. Das half mir bei meiner Argumentation. Wenn Aminat sich gut anstellte, dann würden wir nach Deutschland kommen, wenn nicht, dann bestärkte ich sie in dem Glauben, dass wir im Zigeunerdorf landen würden.
    Aminat lächelte das erste und letzte Mal in Dieters Gesellschaft, als er verkündete, in drei Tagen nach Hause zu fliegen.
    »Jetzt schon?« fragte ich, zwischen Erleichterung und Enttäuschung schwankend.
    Wir warteten darauf, dass er noch etwas sagte. Aber nichts passierte. Er gab jeder von uns die Hand, als wären wir auf einem Staatsempfang. Ich sah seinen ausgestreckten Arm, zog ihn an seiner Hand zu mir heran und küsste ihn dreimal auf die Wangen. Besser wäre es gewesen, wenn Aminat es gemacht hätte. Aber ich hatte Angst, dass sie sich dabei auf seine Hose übergeben würde.
    Als Dieter gegangen war, rannte Aminat den Flur auf und ab und sang: »Das ausländische Arschloch ist weg, hurra! Endlich ist das ausländische Arschloch weg, hurra!«
    Sulfia ging wortlos in ihr Zimmer und legte sich aufs Bett.
    »Er kommt bald wieder«, sagte ich beschwörend, aber ich zweifelte. Das Leben hatte mich zu oft in den Hintern getreten – ich war mir nicht mehr sicher.

[Menü]
    Drei oder Null
    Zwei Wochen später klingelte das Telefon, und wir zuckten alle zusammen. Wir hatten lange nichts mehr aus Israel gehört, und der Klingelton kündigte einen internationalen Anruf an. Sulfia riss den Hörer von der Gabel.
    Während es im Hörer quakte, breitete sich verräterische Röte in Sulfias Gesicht aus. Sie lauschte mit gerunzelter Stirn, verstand nichts und wurde vor Anstrengung immer fleckiger. Ich nahm ihr den Hörer aus der Hand.
    Es war Dieter, und ich erkannte ihn kaum. Erstens redete er schnell und piepsig. Zweitens war mir nicht einmal klar, um welche Sprache es sich handelte.
    Dann verstand ich ein einziges Wort, dafür ein wichtiges: »Einladung«.
    »Einladung ja«, sagte ich. »Für drei. Rosalinda, Sulfia, Aminat.«
    Im Hörer wurde es totenstill.
    »Drei oder Null«, teilte ich dem verstummten Dieter mit.
    Nachdem ich aufgelegt hatte, drehte ich mich zu Sulfia, die ihre Handflächen gegen die erhitzten Wangen presste.
    »Siehst du?« sagte ich. »Er lädt uns nach Deutschland ein.«
    Sulfias Augen wurden ganz groß. »Wann?«
    »Bald«, sagte ich, aber mir war nicht fröhlich zumute. Uns stand ein langer Weg bevor, und diese Aussicht fühlte sich an wie ein Gallenstein.
    Um Dieter Dampf zu machen, brauchte ich ein schönes Foto von Aminat. Ich klingelte bei einem Nachbarn, von dem ich wusste, dass er sein Geld mit dem Verkauf von Frauenfotos

Weitere Kostenlose Bücher