Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
verdiente. Ich musste lange klingeln. Er hatte nur eine Unterhose an, als er mir die Tür aufmachte.
»Was willste?« fragte er und musterte mich aus seinem offenen Auge. Das andere war noch geschlossen.
»Fotos«, sagte ich. Er ließ mich in den Flur und verschwand hinter einer der zahlreichen Türen. Ich sah mich um. Die Wände waren weiß, nicht tapeziert, zugepflastert mit Schwarzweißaufnahmen nackter Weiber.
»Hast du die alle selber gemacht?« fragte ich, als er wieder auftauchte. Er hatte ein geöffnetes Paket Milch in der Hand, ein weißes Rinnsal schlängelte sichsein Kinn entlang. Ich sah ihn an und schluckte. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, wo er die Milch herhatte.
Als er mir den Preis für die Fotos nannte, bat ich ihn, die Späße zu lassen: Die Angelegenheit war ernst.
»Dann mach die doch selber«, sagte der Nachbar. Ich knallte mit der Tür.
Ich konnte fast alles. Außer fotografieren. Ich besaß nicht einmal einen Fotoapparat. Ich erinnerte mich dunkel daran, wie Kalganow sich vor Jahren im Bad mit einer Rotlichtlampe eingesperrt und Fotopapier in kleine Wannen getaucht hatte und wie darauf langsam die Konturen von Gesichtern hervorgekommen waren. Aber Kalganow traute ich keine schönen Fotos zu.
Ich ging zum Fotoatelier um die Ecke und studierte die Bilder in der Vitrine. Alle Männer sahen aus wie Massenmörder, und alle Kinder schielten. Und Aminat war nicht einmal fotogen.
Zu Hause öffnete ich meinen Kleiderschrank. Ich besaß zwei Pelzmäntel, einen alten und einen neueren, den mir einer meiner Verehrer geschenkt hatte, als ich noch welche gehabt hatte. Ich probierte den Mantel ein letztes Mal an. Ich hatte ihn in der letzten Zeit nicht mehr getragen. Raubüberfälle gab es inzwischen am helllichten Tag, nur Selbstmörder wagten es, mit derart wertvollen Sachen auf die Straße zu gehen.
Ich streichelte das Fell, es war kühl und zart und liebkoste meine vom vielen Geschirrspülen aufgeplatzten Hände. Ich faltete den Pelzmantel zusammen und versenkte ihn in einer schwarzen Sporttasche.
Den ganzen Weg zum Kommissionsladen hatte ich Herzklopfen. Ich bemühte mich, armseligdreinzublicken, damit kein Räuber auf die Idee kam, was für ein Schatz sich in meiner Tasche verbarg. Als ich angekommen war, atmete ich erleichtert aus. Die Verkäuferin weigerte sich, mit mir und meinem Mantel in ein Hinterzimmer zu gehen, also breitete ich ihn direkt im Verkaufsraum aus und sagte, dass ich mein Geld sofort haben wollte und nicht warten konnte, bis jemand den Pelz kaufte und ich meinen Anteil Provision bekam. Dass der Mantel nicht lange im Laden hängen würde, war klar.
Die Verkäuferin blickte mit leicht angewidertem Gesicht auf mein Prachtstück. Ich ließ mich davon nicht täuschen. Ich wartete, bis die Frau den Pelz befingert, umgedreht und an einzelnen Härchen gezogen hatte. Sie blickte immer skeptischer drein, dann nannte sie die Hälfte der Summe, die ich im schlechtesten Fall erwartet hatte.
»Nein«, sagte ich, ich kannte diese faulen Tricks. »Fragen Sie Ihre Vorgesetzte, oder ich gehe in einen anderen Laden.«
Die Verkäuferin zuckte mit den Schultern, verschwand und kehrte mit einer anderen Frau zurück, die ihr bis aufs Haar glich. Die zweite sah mich erst gar nicht an. Sie begann sofort, mit Daumen und Zeigefinger am Pelz herumzuzupfen. Ich hatte das Gefühl, dass sie meinem Mantel Schmerzen zufügte. Die zweite Frau nannte eine noch niedrigere Summe.
»Aber Moment mal«, sagte ich, »Ihre Kollegin …« Der Blick aus kühlen, nahezu farblosen Augen brachte mich zum Schweigen. Ich verstand: Pro Wort bekam ich fünf Rubel abgezogen.
»Sie können ihn haben«, sagte ich und sah zu, wie sie meinenMantel ins Hinterzimmer schleppten und mit einem Haufen zerfledderter Geldscheine zurückkamen. Mein Leben war um eine Kostbarkeit ärmer geworden.
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Ein gutes Mädchen
Aminat schwieg eisern, während ich ihr die Haare mit den allerletzten Resten ausländischen Shampoos wusch, mit einem Föhn trocknete und mit einem Lockenstab Wellen hineindrückte. Ich verzichtete auf gestärkte Schleifen und anderes vulgäres Zeug, dafür zwang ich Aminat, das Kleid anzuziehen, das ich für das vorletzte Neujahrsfest genäht hatte. Damals wollte ich, dass Aminat bei der Schulaufführung die Rolle des Schneemädchens spielte, eine Hauptrolle, die jedes normale Mädchen haben wollte. Ich hatte die Lehrerin mit Geld und Schokolade beschenkt und dieses Kleid genäht, einen weiß-blauen Traum
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