Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
lügen und mir Rezepte auszudenken und zu behaupten, dass sie in meiner Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Ich war aber auch froh, es hinauszögern zu können.
Zwischen Hauptgang und Nachtisch bat Dieter Aminat plötzlich, ihm ihr Zimmer zu zeigen. Ich zwickte sie unter dem Tisch. Sie zogen gemeinsam ab, und ich räumte mit Sulfia die schmutzigen Teller weg und holte die sauberen heraus. Wir deckten den Tisch neu. Ich holte mein selbst erfundenes Dessert hervor, eine Art kalten Kuchen aus zermalmten Butterkeksen, Margarine und Äpfeln.
Dann ging ich zu Aminats Zimmer, blieb hinter der angelehnten Tür stehen undlauschte. Dieter spielte mit Aminats Sachen. Er hatte auf einem kleinen Hocker einen Tisch gedeckt und drei ihrer alten Puppen und einen Bären um ihn platziert. Dabei spielte Aminat längst nicht mehr mit Puppen, machte aber mit, um den Gast nicht zu verprellen.
»Und was sollen die jetzt essen?« fragte Aminat, und ich hörte ihrer Stimme an, wie genervt sie war. Doch sie kämpfte tapfer dafür, unsere Lebensbedingungen zu verbessern.
»Kystybyj«, sagte Dieter. »Isst du gern?«
»Kenn ich nicht«, sagte Aminat.
»Kullama?«
»Kenn ich nicht.«
»Talkysch?«
»Wovon reden Sie?«
Auch Aminat kannte sich mit tatarischer Küche nicht aus, und ich hatte es versäumt, sie auf die seltsamen Fragen vorzubereiten. Sie war ein sowjetisches Mädchen geworden, wie Kalganow es immer gewollt hatte. Sie konnte mit den Wörtern nichts anfangen und verbarg ihr Unwissen nicht.
»Gibst du mir einen Kuss?« fragte Dieter.
»Nur wenn Sie meine Mama heiraten«, sagte Aminat.
Ich sagte Sulfia nicht, dass ich das Gespräch belauscht hatte. Ich musste erst darüber nachdenken. Nun wusste ich ja, dass ich viel schneller am Ziel sein würde, als ich es geplant hatte, und dass es nicht darauf ankam, ob Sulfia einen kurzen Rock oder Netzstrümpfe trug. Ich behielt meine Erkenntnisse für mich, ich wollte warten, bis wir rote Reisepässe in den Händen hielten.
Sulfia hatte Dieter bedauernd hinterhergesehen, nachdem er seine Wollsockenfüße in die Schuhe gesteckt und die Schnürsenkel umständlich zugebunden hatte. Er formte aus den Schnürsenkeln Schleifen und wickelte sie auf eine ungewohnte, sehr ausländische Art umeinander.
Ich, Aminat und Sulfia, wir standen aufgereiht vor ihm, sahen zu und warteten, dass er fertig würde. Das brachte ihn nicht aus der Ruhe. Er zog an einem bereits gebundenen Knoten und löste die ganze Konstruktion wieder auf. Aminat seufzte und trat von einem Fuß auf den anderen. Sulfia bewegte ihre Finger. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre vor Dieter auf die Knie gegangen und hätte diese Aufgabe für ihn erledigt.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, sah ich in die Runde. Aminats Gesicht war verzerrt, wie immer, wenn sie sich zusammennehmen musste. Sie hatte wirklich Wunder der Selbstbeherrschung vollbracht. Sulfias Gesicht sah traurig und schwärmerisch aus. Ich warf einen Seitenblick auf mein Gesicht im Flurspiegel. Es drückte grimmige Entschlossenheit aus.
»Und jetzt?« fragte Sulfia und ging mit gesenktem Kopf in die Küche. Ich folgte ihr. Sie drehte das Wasser auf, es kam aber keins. Wir waren vorbereitet und hatten einen Vorrat in Eimern und in der Badewanne. Ich füllte es in unseren größten Topf und stellte ihn auf den Herd, um das Wasser aufzukochen und zum Spülen zu verwenden.
»Wir sehen ihn sehr bald wieder«, sagte ich.
»Meinst du?« Sie sah mich an, als ginge sie wieder davon aus, dass ich alles auf dieser Welt wusste. Im Gegensatz zu Aminat kam sie offenbar endlich in ein Alter, in dem man mütterliche Weisheit zu schätzen begann.
»Der kommt sehr bald wieder, meine Tochter«, sagte ich. »Hast du nicht gemerkt – er fraß dich nur so mit den Augen. Solche Frauen wie dich gibt es in Deutschland nicht.«
»Aber er hat mich doch kaum angesehen«, widersprach Sulfia zaghaft.
»Aus Schüchternheit«, sagte ich. »Kopf hoch, Tochter. Wenn wir uns alle richtig anstellen, sind wir bald in Deutschland.«
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Für ein besseres Leben
Sulfia glaubte mir. Sie war wirklich dumm, und sie wollte das gern bleiben. Sie glaubte an das Gute, und mit sehr, sehr viel Fantasie ließen sich Dieters regelmäßige Besuche als Interesse an ihr, Sulfia, interpretieren, als Dankbarkeit für ihre Krankenpflege, als Zuneigung zu der ganzen Familie, als Interesse für meine Marmeladen. Mit Marmeladen konnte ich punkten. In Deutschland, sagte
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