Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
sich ins Wohnzimmer setzte. Ich sagte: »Nein, es ist doch Ihr Wohnzimmer.«
Er setzte sich auf die Couch. Ich wischte Staub und dann die Holzdielen. Es störte mich nicht, dass John mich anschaute. Als ich mich zu ihm umdrehte, stellte ich fest, er schaute mich gar nicht an. Er hatte sich unbemerkt ein Buch genommen und las darin.
Er sah nicht einmal von seinem Buch auf, als es an der Tür klingelte. »Wollen Sie aufmachen?« fragte ich. Dann ging ich selber. Vor der Tür stand ein sehr junger Mann und reichte mir ein Tablett, offenbar mit Essen, so ähnlich wie im Flugzeug.
»Essen auf Rädern«, sagte er, während er mir das alles in die Arme drückte. Wahrscheinlich sah ich etwas ratlos aus.
»Ah«, sagte ich, als wäre ich bestens informiert. Ich wollte ins Haus zurück, um Trinkgeld zu holen, aber der Junge hatte es sehr eilig.
»John, hier ist Essen auf Rädern für Sie«, sagte ich und stellte das Tablett vor ihn auf einen kleinen Holztisch. Er sah von seinem Buch auf. Ich hob den Plastikdeckel.
»Hier ist … äh … Suppe und hier … ähh … wahrscheinlich Fleisch.«
»Was soll ich damit?« fragte er.
Das wusste ich auch nicht so genau.
Später erfuhr ich: Seine Tochter hatte es für ihn arrangiert. Sie konnte ja nicht täglich für ihn kochen. Und er musste etwas essen. Essen auf Rädern war so etwas wie ein Pizzaservice für ältere Menschen inDeutschland. Ich sprach John darauf an. »Ja, nur ohne Pizza und ohne Service«, sagte John und lachte zum ersten Mal.
Die Joghurts von seinem Tablett rührte er nie an. Ich nahm sie immer mit nach Hause, denn Aminat aß so was gerne.
»Wenn Sie wollen, koche ich etwas für Sie«, sagte ich.
»Nicht nötig«, sagte John.
»Sie haben ja noch gar nicht probiert«, sagte ich.
Wenn ich mir etwas vornahm, dann setzte ich es auch um. Das war meine Art.
Am Sonntag um elf stand ich mit einer Tasche voller Lebensmittel vor Johns Tür. Ich klingelte. Keiner machte auf. Ich klingelte lange. Dann rüttelte ich an der Tür. Ich hatte einen Schlüssel. Ich hatte ja angekündigt, dass ich kommen würde. Ich schlug mit der Faust gegen die Tür. Dann schloss ich sie auf, was war schon dabei.
Hier war alles aufgeräumt, ich war erst vor zwei Tagen da gewesen. Ich ging in die Küche. Dort standen mehrere Tabletts, ich hob die Deckel an – das Essen war nicht angerührt worden. Ich stellte meine Tasche ab.
»John, Rosa ist hier!« rief ich.
Stille. Ich rannte die Treppe hoch, riss die Tür zu Johns Schlafzimmer auf. Es war der einzige Raum, zu dem ich keinen Zutritt hatte. Noch nicht. Das merkte man gleich: Es war ein furchtbarer Raum, voller Bücher, Papier und Müll. Ein leeres Bett mit nicht allzu frischen Laken. Ich hätte hier schon längst mal vorbeischauen sollen.
»John!« rief ich. Als Nächstes lief ich zum Badezimmer. Die Tür war abgeschlossen. Ich rüttelte daran und presste mein Ohr ans Schlüsselloch. »John!« schrie ich in die Stille hinein.
Zum Glück behielt ich in jeder Situation die Nerven. Ich kannte viele Häuser und wusste, in welchen man die verschlossenen Türen leicht von außen aufmachen konnte. Das hier war Gott sei Dank so eine. Ich fand eine Münze in meiner Tasche, steckte sie in den Spalt und drehte. Die Tür ging auf.
John lag in der Badewanne, sein langer Körper passte kaum hinein. Sein Kopf war noch über Wasser, neigte sich aber gefährlich zur Seite. Das Wasser war nicht blutig. Aber er sah nicht gut aus. Ich umfasste seinen Kopf und zog an ihm. Dann hielt ich ihm plötzlich, einer Eingebung folgend, die Nase zu. Damit belebte ich ihn wieder. John hustete, schüttelte seinen Kopf, versuchte sich aus meinem Griff zu befreien und schimpfte erst auf Englisch, dann auf Deutsch.
»Was machen Sie hier?« fragte er. »Sind Sie ein fleischgewordener Alptraum?«
Er drückte sich immer etwas unklar aus. Ich griff ins Wasser, es war kalt. Ich erwartete keinen Dank dafür, dass ich ihn gerettet hatte. »Kommen Sie mal raus«, sagte ich, sah mich um, entdeckte ein großes Handtuch und hielt es ihm ausgebreitet hin.
Er richtete sich langsam auf. Ja, sein Gesicht war das Älteste an ihm. Ich konnte es nicht vermeiden, ihn anzusehen. Ich hatte schon lange keinen Mann mehr gesehen. Und einen Engländer – noch nie. Er stand da, und das Wasser floss an ihm herunter. Dann stieg er stark tropfend aus der Badewanne. Es bildete sich eine Pfütze um seine Füße. Er riss mir das Handtuch aus der Hand und wickelte es um sich.
»Ich war
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