Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
eingeschlafen. Tun Sie mir einen Gefallen und gehen Sie raus«, sagte er.
»Ich muss hier aufwischen«, sagte ich.
Ich holte einen Putzlappen und schrubbte den Fußboden trocken. John war längst nicht mehr da. Er war in seinem Schlafzimmer und fragte von dort aus: »Was machen Sie überhaupt hier?«
»Hab ich doch gesagt. Ich koche heute was für Sie.«
»Sie sind eine Nervensäge«, sagte John. »Verschwinden Sie.«
»Nach dem Kochen.«
Er schloss die Schlafzimmertür. Ich hörte, wie sich der Schlüssel umdrehte. Er war stur, aber was war seine Sturheit gegen meine.
Ich ließ das kalte Wasser ablaufen und schrubbte die Badewanne sauber. Und das ganz umsonst.
Danach ging ich in die Küche und fing an zu kochen. Ich hatte schon so lange keine Küche mehr zu meiner eigenen Verfügung gehabt. Heute gehörte Johns Küche mir. Hier war schon jahrelang keine Frau mehr gewesen. Es war alles sauber, von mir geputzt, aber schon länger nicht mehr liebevoll berührt worden. Das hatte die Küche mit mir gemeinsam. Ich wollte sie wieder warm machen, mit meinen Händen wiederbeleben.
Ich wusch ein Huhn unter kaltem Wasser ab, nahm die mitgebrachte Nadel heraus und nähte den Hühnerbauch zu. Ich trennte vorsichtig die Haut vom Fleisch ab und pustete hinein. Dort, wo die Luft pfeifend entwich, nähte ich die Löcher zu. Ich verrührte Eier mit Sahne, Salz und Pfeffer und füllte das alles unter die Hähnchenhaut. Ich band den Hals des Huhns ab, wickelte es in eine Stoffserviette und legte es in kochendes Salzwasser.
Dieses Huhn hieß Tutyrgan tavyk, ein Gericht, das Kalganows Verwandten auf dem Land zubereitet hatten und das mir heute so passendeingefallen war. Und zwar nicht zufällig, sondern weil ich mich mit Dieter darüber unterhalten hatte. Genauer gesagt erinnerte mich Dieter an dieses Rezept, er wusste nicht nur, wie es hieß, sondern auch, wie man es machen musste. Die Dinge, die er mir erzählte, hatte ich natürlich früher auch selbst gewusst, aber zwischendrin einfach vergessen.
Das Huhn brauchte anderthalb Stunden und war ein echtes tatarisches Nationalgericht. Ich deckte den Tisch im Wohnzimmer. Ich wusste längst, wo was lag. Ich holte gestärkte Servietten hervor und verstaubte Gläser, die ich, während das Huhn kochte, von Hand spülte und polierte. Ich schaltete den Herd aus und machte mich im Badezimmer frisch. Vom Kochen war mein Gesicht leicht gerötet, ich kühlte es mit Wasser und schminkte mich nach. Dann klopfte ich an Johns Schlafzimmertür.
»Verschwinden Sie«, sagte John.
Ich ging und ließ alles so zurück, wie ich es hingestellt hatte. Ja, es klappte nicht alles beim ersten Mal.
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Elegant und leichtfüßig
Mir fiel auf, dass mir noch einiges fehlte. Zum Beispiel konnten hier alle schwimmen, selbst die kleinen Kinder. Auch wenn sie mit vier Jahren noch Windeln trugen und mit fünf einen Schnuller im Mund herumschoben, auch wenn sie bis zur Einschulung weder lesen noch rechnen konnten, selbst diese verzogenen Kinder konnten schwimmen. Sie wurden von ihren Müttern, die meine Kundinnen waren, zum Schwimmunterricht gefahren, den Kofferraum voll mit Badehosen, Badetüchern, Schwimmflügeln, Brettern und Schwimmnudeln. Und im Sommer fuhren sie alle ans Meer.
Ich sagte zu Dieter, er soll mit unserem Kind auch ans Meer. Aminat konnte nur sehr schlecht schwimmen und ich gar nicht. Das war kein Zustand. Wir sollten nicht schlechter sein als die anderen.
Dieter sagte, vielleicht übernächstes Jahr, denn so kurzfristig gehe es gar nicht. Es war Winter.
Gott tröstete mich, denn kaum hatte mir Dieter das gesagt, fragte mich eine Kundin, ob ich nächste Woche Zeit hätte, um mit ihrer Familie in die Berge zu fahren. Sie wollte mit ihren zwei Kindern und dem Mann in die Schweiz. Eigentlich hatte sie ihre Schwiegermutter mitnehmen wollen, damit diese nachmittags nach den verzogenen Gören schauen konnte. Aber die Schwiegermutter hatte Darmpolypen und musste operiert werden.
Als ich jünger gewesen war, war Kalganow jedes Wochenende auf Langlaufskiern in den Wald gegangen. Manchmal war ich mitgekommen, obwohl ich für solchen Unsinn selten Zeit gehabt hatte. Ich konnte also Ski fahren, aber ich war noch nie in den Alpen gewesen. Und Aminat konnte gar nichts und war auch noch nie in den Alpen gewesen.
Meine Kundin und ihr Mann waren einverstanden, dass Aminat mitkam. Sie waren mit allem einverstanden.
Sie fuhren mit dem Auto voraus, unser Gepäck nahmen sie mit. Meine Kundin hatte mir
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