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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Berg. Ich teilte mir einen Bügel mit Corsin, und Aminat hatte einen für sich. Wir konnten sie von hinten sehen. Mehrmals wäre sie beinahe aus dem Lift herausgefallen. Ich wünschte, es wäre endlich passiert, aber sie klammerte sich mit letzter Kraft an den Bügel, zappelte mit den Beinen, ihre Skier verfingen sich ineinander, es war ein Wunder, dass sie nicht runterfiel. Die Fahrt hinunter verlief bei ihr genauso elend. Ich fuhr voran, elegant, leichtfüßig.
    Nach der letzten Stunde gab mir Corsin einen Zettel mit seiner Telefonnummer. Der sah aus, als hätte sich ein Kind eine Visitenkarte gebastelt.
    »Ruf an, wenn du nächstes Jahr wiederkommst«, sagte er.
    Ich erlaubte es mir nicht, traurig zu sein. Ich war fröhlich: in den Bergen, auf den Skiern, sehr nah an einem Leben, das ich für angemessen hielt.

[Menü]
    Der Berg wollte mich nicht
    Am nächsten Morgen weigerte sich Aminat weiterzuüben. Ich war sehr nah dran, ihr eine Ohrfeige zu geben, aber meine Kundin und ihr Oberstaatsanwalt waren noch in der Wohnung, und ich wollte nicht, dass sie einen schlechten Eindruck bekamen. Ich ließ Aminat mit einem Buch in der Ferienwohnung zurück.
    Ich zog mich an, nahm meine Skier und ging allein zum Lift. Ich war genauso elegant und sicher wie die arroganten Weiber, die jedes Jahr hierherkamen und sich ihre verspiegelten Sonnenbrillen in die Stirn schoben.
    Oben angekommen, glitt ich mit sicheren Parallelschwüngen dem Vordermann hinterher. Unter mir war alles weiß, um mich herum auch. Dann merkte ich, dass auch über mir alles weiß war. Ich bremste und fiel beinahe hin. Ich war überrumpelt, weil es zu schneien begann. Die Schneeflocken kreisten über mir, der Himmel war nicht mehr zu erkennen. Der Wind blies mir kleine Eisbrocken ins Gesicht und ließ die Augen tränen.
    Ich konnte nichts mehr sehen. Die Tränen froren an meinen Wimpern fest, jetzt war ich blind. Der Berg wollte mich nicht. Ich war ihm zu dreist gewesen, und jetzt war er dabei, mich umzubringen.
    Ich hielt gerade noch rechtzeitig an, um zu erkennen, dass sich vor mir kein Hang, sondern ein Abgrund auftat. Meine Beine zitterten vor Anspannung. Ich fragte Gott, ob meine Stunde geschlagen hatte, und Gott antwortete mit einem Geistesblitz: Corsin!
    Ja, Corsin, der sogar noch besser Ski fuhr als ich, der behauptete, jeden Berg in dieser Gegend wie seine Westentasche zu kennen. Ich streifte den Handschuh ab und holte das Handy des Oberstaatsanwalts hervor und den kleinen Kinderzettel mit der Telefonnummer. Meine Hände wurden augenblicklich steif. Ich zog die Antenne heraus. Es war das erste Mal, dass ich mit einem Handy telefonierte. Ich pustete auf die Fingerkuppen und begann die Nummer einzutippen. Mit der Schweizer Vorwahl, das würde wahrscheinlich ein Vermögen kosten, dachte ich.
    Es tutete im Hörer, dann meldete sich eine Stimme, von der nicht klar war, ob sie einer Frau oder einem Kind gehörte. In diesem Moment hatte ich vergessen, dass Corsin zwar Ski fuhr wie ein Gott, dafür aber sprach wie ein Fünfjähriger.
    »Hilf mir!« schrie ich, ich rief den Namen des Skilifts in den Hörer, aber Corsin, wenn er es denn war, verstand mich nicht. Er fragte immer nur:
    »Was? Wer ist dran?« Der Wind blies in den Hörer, wahrscheinlich war ich schwer zu verstehen, hinzu kam, dass das Verstehen sowieso nicht Corsins Stärke war. Jedenfalls war ich jetzt verloren. Ich schrie: »Dann krepier doch!« in den Hörer, eine Aufforderung, die mir der Berg auch gerade ins Gesicht schmiss, ich warf Corsin aus der Leitung und versuchte, meine Kundin zu erreichen, was aussichtslos war.
    Ich steckte das Handy in die Jackentasche, zog die Handschuhe an und griff mir die Skistöcke.Ich schaute die glatte, vereiste Wand hinunter, wahrscheinlich war es das, was man als schwarze Piste bezeichnete. Ich rechnete mir im Kopf aus, mit wie vielen Schwüngen ich sie bewältigen konnte, genauer, wie viele davon ich überleben würde.
    Als ich mich mit der verkrampften Faust bekreuzigt hatte, tauchte etwas Rotes aus dem Schneegestöber auf. Ein Mensch, ein Mann vielleicht sogar – ich war bereits dabei zu rutschen und drehte meine Skier mit übermenschlicher Kraft parallel zum Hang, um rufend und mit Stöcken winkend auf meine Notlage aufmerksam zu machen. Das Rote bremste knapp unter mir, blieb an der Eiswand haften wie eine Fliege am Fenster, die Zähne blitzten durch die Schneesuppe, und Corsins sanfte Mädchenstimme sagte: »Halt dich an mir fest, ich bring dich

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