Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
ihren Kindern beim Spielen zu und hat eigentlich in erster Linie das Bedürfnis, sich zu unterhalten. Also, mit mir oder der Dame vom Kinderschutzbund. Mit den Kindern spricht sie so gut wie gar nicht.«
Die Besuche der Mutter verliefen unspektakulär, waren aber für Samantha dennoch anstrengend. Sie versicherte sich immer wieder in besorgtem Tonfall bei ihrer Mutter, ob sie alles habe, was sie brauche, und war nach den Kontakten meist sehr aufgewühlt.
»Das ist aber ja leider ein Verhalten, das wir zur Genüge auch von anderen Kindern aus solchen Familien kennen. Es fällt der Kleinen eben schwer, ihrer Mutter nicht so helfen zu können wie sonst. Und sie hat kein Vertrauen. Samantha glaubt nicht, dass ihre Mutter alleine zurechtkommt. Da muss man ihr immer wieder versichern, dass ihrer Mutter nichts Schlimmes passiert, und vor allem, dass es nicht ihre Aufgabe ist, sich um ihre Mutter zu kümmern. Aber erklären Sie das mal einer Sechsjährigen, die es nicht anders kennt.«
Als ich nach dem letzten Kontakt der Kinder zum Vater fragte, wurden Frau Poggels Augen feucht.
Es war ihr etwas unangenehm, und sie atmete ein paarmal tief durch: »Sie müssen entschuldigen. Ich mach das hier schon wirklich lange, aber so was … Also, so was hab ich noch nie erlebt. Das war so ein … Das klingt jetzt blöd, aber das war so ein Moment der Erkenntnis für den Vater. Der Herr Dickmann war so aufgelöst. Ich hab ihn dann von den Kindern weggeholt, und die Frau vom Kinderschutzbund hat sich dann mit den dreien beschäftigt. Ich hab dann recht lange mit dem Vater gesprochen. Der war so fertig! Ich habe ihn erst gehen lassen, als er mir versprochen hat, dass er sich nichts antut. Schon alleine wegen der Kinder. Ich hatte da wirklich Sorge. Es ist ja auch furchtbar, wenn einem plötzlich klarwird, wie sehr die eigenen Kinder gelitten haben und dass man selbst mit schuld ist. Also, das war wirklich heftig. Aber auch toll. Denn wann haben wir hier schon mal Eltern, die verstehen und dann auch Verantwortung übernehmen?«
Wir wurden unterbrochen, weil Samantha ins Zimmer kam.
»Der Gerd ist mit den Kleinen auf den Spielplatz und hat gesagt, ich muss hierbleiben, weil ich noch mit der Frau reden soll.«
Sie wirkte unglücklich, und es war offensichtlich, dass sie jetzt aus mehreren Gründen lieber mit dem Pflegevater auf dem Spielplatz gewesen wäre.
Ich bot Samantha an, erst einmal etwas mit ihr zu spielen, aber sie lehnte ab, setzte sich und sagte: »Bei der Mama war es gar nicht so schlimm. Ehrlich nicht. Wir können da jetzt wieder hin, weil da jetzt sicher wieder alles okay ist. Die Mama hat auch sicher schon aufgeräumt.«
Was nun folgte, war ein Gespräch, das ich schon häufig in ähnlicher Form geführt hatte: Samantha wusste ziemlich genau, was sie im Sinne ihrer Mutter erzählen durfte, vor allem sollte, und was nicht. Sie beschrieb ihre Mutter als perfekte Hausfrau, schilderte fürsorgliches Verhalten und ein harmonisches Familienleben. Auf vorsichtige Fragen danach, was sie so tagsüber gespielt und welche Dinge sie gern mit ihrer Mutter gemacht habe, antwortete sie mit »Weiß ich nicht« und wurde unruhig. Also fragte ich nicht weiter.
Natürlich kann man Kinder in diesem Alter dazu bringen, dass sie sich verhaspeln und irgendwann doch zumindest teilweise erzählen, wie das Zusammenleben mit der Mutter oder den Eltern wirklich war.
Aber es gibt leider hin und wieder Fälle, in denen es wichtig ist, etwas mehr von den Kindern zu erfahren. Ich finde diese Situationen immer äußerst schwierig, denn mein Bestreben ist es natürlich, dass es den Kindern nach der Begutachtung besser- und keinesfalls schlechtergeht.
Ich führe immer noch ein Abschlussgespräch mit den Eltern, in denen ich ihnen meine Empfehlung an den Richter und auch das weitere Vorgehen erläutere. Natürlich habe ich in diesen Gesprächen auch die Möglichkeit, den Eltern zu erklären, warum ihr Kind dieses oder jenes gesagt hat, weshalb die Diagnostik möglicherweise etwas ergeben hat, was die Eltern so nicht erwartet oder erhofft hatten, und dass das Wichtigste zukünftig sein wird, auf die Bedürfnisse der Kinder zu achten. Manche Eltern erkennen im Laufe der Begutachtung, dass sie durch den ganzen Stress des Gerichtsverfahrens ihre Kinder aus dem Blick verloren haben, und können das dann schon alleine durch diese Erkenntnis ändern. Es gibt aber eben auch die Gruppe der Beratungsresistenten …
Was also, wenn ein Kind
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