Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
hätte ich wahrscheinlich gedacht, dass der Regisseur da nun aber wirklich ein bisschen dick aufgetragen hat. Es fehlte wirklich nur noch, dass sich alle an die Hände nehmen und in den Sonnenuntergang laufen …
Aber das hier war real. Und wirklich ganz und gar wunderbar. Sogar Herr Kuben machte keine Scherze, sondern bedankte sich herzlich bei allen Beteiligten für ihre Besonnenheit und die wirklich gelungene Zusammenarbeit.
Als wir nach dem Termin noch kurz auf der Straße standen, war er aber wieder ganz der Alte. »Mensch, Frau Seeberg, da haben Sie aus der Begutachtung glatt einen Pilcher-Roman gemacht. Meine Hochachtung!« Er grinste. »Jetzt müssen wir nur noch die böse Schwiegermutter, äh, Jugendamtstante bekehren, und alles ist gut.«
Daraus wurde aber nichts. Als ich Frau Gruber über unser Gespräch informierte, war sie höchst empört über die von uns erarbeitete Lösung und kündigte an, »entsprechende Schritte einzuleiten«. So etwas Absurdes habe sie in ihrer gesamten Berufstätigkeit nicht erlebt. Das Kind solle adoptiert werden, und die leiblichen Eltern sollten froh sein, dass sie ihr »neues Kind« behalten dürften. Weitere oder gar erweiterte Besuchskontakte der leiblichen Eltern mit Joel seien Unsinn. Sie werde nicht zulassen, dass solche »seltsamen Vereinbarungen« tatsächlich umgesetzt würden. Sie legte wieder auf, ohne sich zu verabschieden oder mich noch einmal zu Wort kommen zu lassen. Aber daran hatte ich mich mittlerweile gewöhnt.
Glücklicherweise kannte der Richter den Leiter des Jugendamtes schon viele Jahre. Nach einem inoffiziellen Gespräch der beiden wurde Frau Gruber der Fall umgehend entzogen und sie in eine andere Abteilung versetzt, wo sie hoffentlich weniger Unheil anrichten konnte. Irgendwie hoffte ich insgeheim, es würde die Jugendamtskantine sein.
Das neue Konstrukt der beiden Familien funktionierte ausgesprochen gut. Schon bald waren keine Termine in der Beratungsstelle mehr notwendig, und ich erhielt von den Pflegeeltern anderthalb Jahre später ein Foto von Joels Einschulung, auf dem er zwischen seinen Pflegeeltern und seinen leiblichen Eltern stand und strahlte. Auf der Rückseite stand: »Wir sind nun eine große Familie. Vielen Dank für alles.« Alle hatten unterschrieben. Sogar die kleine Lilly mit einem Fingerabdruck.
Mann mit Spinne
Siebter Stock. Vielleicht hätte ich doch den Aufzug nehmen sollen.
Neunter Stock. Ich sollte mal wieder Sport machen. Dringend.
Zehnter Stock. Ich hätte auf jeden Fall den Aufzug nehmen sollen! Dann müsste ich jetzt auch nicht über diesen dicken Mann klettern, der mitten auf der Treppe seinen Rausch ausschläft. Zumindest nehme ich an, dass zu viel Alkohol der Grund dafür ist, aus dem er vor mir auf dem Boden liegt und laut schnarcht. Eine tolle Akustik hat dieses Treppenhaus.
Elfter Stock. Ich mache mal besser eine Pause, sonst komme ich völlig atemlos bei Herrn Paal an und kann ihm noch nicht einmal guten Tag sagen, ohne ohnmächtig zu werden.
Zwölfter Stock. Wo ist der verdammte Lichtschalter? Warum gibt es in diesem Treppenhaus kein Tageslicht? Was war das feuchte Etwas, in das ich gerade hineingefasst habe?
Dreizehnter Stock. Warum hab ich nicht früher daran gedacht, dass ich eine Taschenlampen-App habe?
Fünfzehnter Stock. Ich fordere Namensschildpflicht für alle deutschen Haushalte. Okay, für Haushalte, in denen Menschen wohnen, die ich begutachten soll.
Ich musste bei drei Wohnungen klingeln, bis ich die richtige erwischte. Na ja, zumindest war ich jetzt nicht mehr außer Atem.
Herr Paal öffnete mir, bekleidet mit einer grellrosa Jogginghose und einem Feinrippunterhemd (immerhin ohne die obligatorischen Ei-Kaffee-Flecken).
»Da sind Sie ja! Kommen Sie rein in die gute Stube!«, trompetete er. Meine Güte, hatte dieser Mann eine laute Stimme! Und einen sehr dicken Bauch. Und eine sehr individuell gestaltete Wohnung …
Wie in einer amerikanischen Sitcom befand ich mich direkt in seinem Wohnzimmer. In dessen Mitte stand eine knallrote Couch. Das sah sicher prima aus, wenn Herr Paal mit seiner rosa Jogginghose auf dem roten Polster saß. An den Wänden hingen überdimensionale Aktgemälde, die verdächtig danach aussahen, als hätte Herr Paal sie selbst angefertigt. Dort, wo keine nackten Frauen mit bizarr falschen Proportionen und gruselig irren Gesichtszügen hingen, waren die Wände voll mit Regalen, in denen … Ich sah genauer hin.
In diesem Raum standen mindestens
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