Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
mitgenommen, damit sie wieder gesund werden können. Ja, und dann hab ich nicht mitbekommen, dass alle zum Bus gegangen sind. Und dann hat mich die Frau Drechsler suchen müssen. Da war die noch viel wütender als vorher. Das war schlimm.« Margaretha schaute zu Boden und malte mit dem Finger Muster in den Teppich.
»Aber weißt du, was das Gute war?«
»Was denn?«
»Das war an einem Freitag, und da musste ich die erst am Montag wieder sehen.« Margaretha lächelte. »Und an dem Wochenende war ja wieder Markt, und da hab ich auch das Brot gebacken. Das vom Foto. Das war schön.«
Ich unterhielt mich noch eine Weile mit Margaretha über dies und das, erfuhr, dass sie dem Nico manchmal die Hausaufgaben machte, weil der so furchtbar langsam sei, und dass sie gerne reiten lernen würde.
Als Margaretha wieder zu ihrer Freundin gegangen war, warteten Herr und Frau Krüger schon mit einem Kaffee am Wohnzimmertisch.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich einen Gutachtenauftrag erhielt, weil ein Mädchen einmal eine Dose voller Käfer gehabt und danach die Abfahrt des Busses verpasst hatte.
Da musste es doch noch etwas anderes geben.
Ich bat Margarethas Eltern, mir ein wenig von Margaretha zu erzählen. »Wie ist sie denn so? Wie würden Sie sie beschreiben?«
Frau Krüger putzte sich die Nase und sah mich grimmig an. »Was wollen Sie hören? Wie sie ist oder wie viele Insekten sie so sammelt?«
»Wenn ich ehrlich bin, Frau Krüger, beides.«
Frau Krügers Geschichte deckte sich mit dem, was ich schon von Margaretha gehört hatte. Als könnte sie Gedanken lesen, erklärte Frau Krüger: »Ich habe Margarethas Freundinnen gefragt. Und auch die haben es mir so geschildert wie Margaretha. Mein Gott, ich kam mir vor wie so ein schmieriger Privatdetektiv. Oder schlimmer noch: wie eine Mutter, die ihrer Tochter nicht glaubt.«
Sie stützte den Kopf in die Hände.
»Das war so furchtbar, als diese Frau Drechsler hier auftauchte und so tat, als wäre unsere Tochter eine Gefahr für die Allgemeinheit. Sie hatte uns schon vorher mal einbestellt, weil Margaretha die Hausaufgaben für andere Kinder gemacht hatte. Und weil sie im Unterricht manchmal verträumt ist. Himmel, sie ist eben ein soziales, liebes Kind, das ab und zu vor sich hin träumt. Ich verstehe das Problem nicht. Wirklich nicht. Sie wollte, dass wir Margaretha verbieten, anderen Kindern zu helfen.«
»Ja, das war wirklich eine absurde Situation«, pflichtete ihr Herr Krüger bei. »Wir hatten überlegt, uns beim Rektor über sie zu beschweren. Aber dann hat uns irgendwie der Mut verlassen.«
Ja, das konnte ich nachvollziehen. Da konnte einen schon mal der Mut verlassen, wenn man von einer Grundschullehrerin solche grotesken Dinge hört. So etwas durfte nicht passieren. Natürlich kann man unterschiedlicher Meinung sein, was das erwünschte Verhalten von Kindern betrifft. Keine Frage. Aber dass eine Lehrerin so weit geht, den Eltern Erziehungsunfähigkeit zu unterstellen und ihre Tochter als gestört zu bezeichnen – nur weil die Familie ein kleines bisschen anders war, das ging tatsächlich zu weit.
Dramatisch war die Gesamtsituation allerdings erst geworden, als das Jugendamt und auch das Gericht nicht weiter nachgeforscht, sondern gleich ein Gutachten eingefordert hatten. Hätte sich jemand vom Jugendamt oder die Richterin einmal länger mit dem Ehepaar Krüger und Magaretha unterhalten, dann hätte man ihnen einige schlaflose Nächte ersparen können. Man muss wirklich kein Sachverständiger sein, um zu erkennen, dass hier offenbar eine Lehrerin, nennen wir es mal: übermotiviert war.
Glücklicherweise konnte die Begutachtung schnell beendet werden. Ich telefonierte mit dem Jugendamt und der Richterin. Es gab eine mündliche Verhandlung, und das Verfahren wurde eingestellt.
Der zuständige Mitarbeiter des Jugendamtes besuchte die Familie danach noch einmal zu Hause und entschuldigte sich für sein überambitioniertes und wenig besonnenes Verhalten.
Das hätte er nicht tun müssen, umso mehr freute ich mich darüber. Herrn und Frau Krüger tat diese Entschuldigung nämlich sehr gut.
Frau Drechsler entschuldigte sich erwartungsgemäß nicht. Sie blieb bei ihrer Einstellung, dass Margaretha gestört sei, und behandelte sie entsprechend. Dem Direktor der Schule war das Ganze wohl recht unangenehm, aber helfen konnte oder wollte er den Eltern und Margaretha nicht.
Er erklärte, er könne Margaretha nicht in die Parallelklasse versetzen,
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