Die Schandmaske
Ruth hat die Ohrringe ihrer Großmutter ja um halb drei Uhr nachmittags gestohlen.«
»Und was wollen Sie damit sagen?« fragte Cooper, als Jones nicht weitersprach. »Dass sie die Wahrheit sagen?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Das glaub ich nicht.«
»Ich möchte gern wissen, warum Hughes dieses Alibi nicht schon gestern präsentiert hat. Warum hat er so lange den Mund gehalten, wenn er gewusst hat, dass seine Kumpel ihn unterstützen würden?« Er beantwortete bedächtig seine eigene Frage. »Weil sein Anwalt mir heute Morgen die Pistole auf die Brust gesetzt hat und den frühestmöglichen Todeszeitpunkt Mrs. Gillespies wissen wollte. Und das heißt, dass Hughes ihm bereits gesagt hatte, dass er von neun Uhr abends an nichts zu fürchten hatte.«
»Wie hilft uns das weiter?«
»Gar nicht«, antwortete Jones gut gelaunt. »Aber wenn dieses Alibi vorher ausgemacht war, wie Sie sagten, dann muss er an diesem Abend was andres getrieben haben, wofür er auf jeden Fall ein Alibi haben wollte. Jetzt brauchen wir nur noch rauszukriegen, was es war.« Er griff zum Telefon. »Ich red mal mit dem Kollegen in Bournemouth. Mal sehen, was der für Samstagabend, den sechsten November, an Vorfällen in seinem Buch hat.«
Die Antwort war: nichts.
Jedenfalls nichts, was der Verfahrensweise von David Mark Hughes auch nur im entferntesten entsprochen h ätte.
Daher Coopers Gereiztheit.
Er schnalzte ärgerlich mit der Zunge, während er sich den Schlüssel ansah. »Ich hätte Sie für vernünftiger gehalten, Dr. Blakeney.“
Sarah dachte an Jane Marriotts Ermahnung und bewahrte m ühsam Geduld. »Tut mir leid.«
»Sie können nur hoffen, dass es uns gelingt, noch andere Fingerabdrücke zu sichern, sonst müsste ich vermuten, dass das hier ein Trick war.«
»Was für ein Trick?«
»Ein Trick, Ihre Fingerabdrücke ganz legitim auf den Schlüssel zu praktizieren.«
Sie wusst e schon, worauf er hinaus wollte. »Für den Fall, dass ich ihn benutzt habe, um ins Haus zu kommen und Mathilda zu töten, und dann vergaß, ihn abzuwischen, wie?« fragte sie schnippisch.
»Falsch«, entgegnete er milde. »Ich dachte eigentlich nur an einen guten Samariterdienst für jemand anderen. Wer ist es denn diesmal, den Sie aufgrund Ihrer Intuition für unschuldig befunden haben, Dr. Blakeney?«
»Sehr dankbar sind Sie nicht, Cooper«, sagte sie. »Ich hätte Ihnen von dem Schlüssel nichts zu sagen brauchen. Ich hätte ihn still und leise wieder an seinen Platz legen und den Mund halten können.«
»Kaum. Er ist voller Fingerabdrücke von Ihnen, und irgendjemand hätte ihn früher oder später gefunden.« Er wandte sich Joanna zu. »Haben Sie wirklich nichts von dem Schlüssel gewusst, Mrs. Lascelles?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt, Sergeant. Nein. Ich hatte einen Schlüssel zur vorderen Tür.«
Er hatte den Eindruck, dass zwischen ihr und Dr. Blakeney irgendwas vorging. Die Körpersprache war verräterisch. Sie standen so dicht beieinander, dass ihre Arme einander beinahe berührten, aber sie schienen es zu vermeiden, einander anzusehen. Wären sie ein Mann und eine Frau gewesen, hätte er gesagt, er habe sie auf frischer Tat ertappt; so hatte er das Gefühl, dass sie ein gemeinsames Geheimnis hatten. Welcher Art jedoch dieses Geheimnis war und ob es mit Mrs. Gillespies Tod zu tun hatte, war nicht zu sagen.
»Und Ruth?«
Joanna zuckte gleichg ültig die Achseln. »Ich habe keine Ahnung, aber ich denke nicht. Sie hat mir nie etwas von dem Schlüssel gesagt, und soviel ich weiß, hat sie immer nur ihren Haustürschlüssel benutzt. Es gibt keinen Grund, den ganzen Weg bis nach hinten zu gehen, wenn man vorn herein kann.« Sie wirkte ehrlich verwundert. »Meine Mutter muss erst kürzlich mit dieser Gewohnheit angefangen haben. Als ich noch hier lebte, hat da jedenfalls nie ein Schlüssel gelegen.«
Er sah Sarah an, die hilflos die H ände ausbreitete. »Ich weiß nur, dass sie bei meinem zweiten oder dritten Besuch hier die Tür nicht aufmachte. Ich bin daraufhin zur Fenstertür gegangen und habe ins Wohnzimmer hineingesehen. Sie saß fest, die Arme. Sie kam aus ihrem Sessel nicht hoch, weil sie an dem Tag so irrsinnige Schmerzen in den Handgelenken hatte. Sie rief mir durch das geschlossene Fenster zu, wo der Schl üssel lag. Vielleicht hatte sie ihn extra für einen solchen Notfall dorthin gelegt. Sie fürchtete immer, ihre Beweglichkeit zu verlieren.«
»Wer wusste noch von dem Schlüssel?«
»Keine Ahnung.«
»Haben
Weitere Kostenlose Bücher