Die Schandmaske
der nicht reagierte, versuchte er es anders. »Waren Sie heute Morgen gegen zehn Uhr dreißig im Cedar House?«
»Ja.“
»Haben Sie Mrs. Joanna Lascelles die Hände um den Hals gelegt?«
»Ja.«
»Hatte sie also Grund zu glauben, dass Sie sie erwürgen wollten?«
»Ja.«
»Wollten Sie sie erwürgen?«
»Nein.«
»Dann erklären Sie mir das. Was zum Teufel war der Zweck der Übung?«
»Ich wollte Ihnen und Ihren Leuten demonstrieren, dass Sie wieder einmal auf dem Holzweg waren. Ich weiß, was ich getan habe, war nicht gerade vernünftig, und ich hätte es auch gar nicht getan, wenn mich dieser Trottel von einem Inspector gestern Nacht nicht so wütend gemacht hätte.« Seine Augen verengten sich zornig bei der Erinnerung. »Um mich persönlich geht's mir gar nicht, im Gegenteil, ich hoffe, er hängt mir ein Strafverfahren an und beschert mir einen großen Auftritt vor Gericht. Mir geht es um Sarah und mir geht es im Moment ganz besonders um Ruth. Er hat sie beide unmöglich behandelt, und das hat mir nun wirklich gereicht. Joanna ist nicht mehr zu helfen, fürchte ich, ihrer Tochter hingegen schon, und ich möchte, dass das arme Kind endlich aufatmen und diese ganze schreckliche Geschichte hinter sich lassen kann.« Zornig holte er tief Luft. »Darum hab ich mich gestern Abend hingesetzt und hab getan, was Sie hätten tun sollen: Ich habe solange überlegt, bis ich raushatte, wer Mathilda getötet hat und warum. Und glauben Sie mir, es war nicht schwierig.«
Charlie glaubte ihm tats ächlich. Es erging ihm wie Cooper, er begann diesen Mann unwiderstehlich zu finden. »Mrs. Lascelles«, sagte er mit Überzeugung. »Sie war immer die erste auf der Liste.«
»Nein, darüber habe ich mir heute Morgen Gewissheit verschafft. Ich stimme Ihnen zu, es wäre ihr durchaus zuzutrauen. Sie hat eine Persönlichkeit wie ihre Mutter, und wenn Mathilda morden konnte, um sich zu holen, was sie wollte, dann könnte das Joanna sicher auch. Man wächst nicht in einer völlig gestörten Atmosphäre auf und geht am Ende unbeschadet daraus hervor. Aber Joannas Beziehung zu Mathilda war sehr ambivalent. Ich glaube, dass die beiden einander trotz allem recht gern hatten. Vielleicht basiert diese Zuneigung ganz einfach auf gegenseitigem Verständnis, so wie man den Teufel, den man kennt, akzeptabler findet als den, den man nicht kennt.«
»Gut, meinetwegen«, sagte Charlie Jones geduldig. »Wer hat dann also Mrs. Gillespie getötet?«
»Ich kann es nicht beweisen, das ist Ihre Aufgabe. Ich kann nur Schritt für Schritt die Überlegungen mit Ihnen durchgehen, die ich gestern Abend angestellt habe.« Er wartete einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen. »Sie haben sich ausschließlich auf Sarah, mich, Joanna und Ruth konzent riert «, sagte er, »und das allein wegen des Testaments. Das war natürlich unter den Umständen durchaus vernünftig - wenn Sie uns aber aus der Gleichung herausnehmen, ändern sich die Wahrscheinlichkeiten. Nehmen wir also an, sie wurde nicht ihres Geldes wegen getötet, und machen wir von da weiter. Okay, ich glaube auch nicht, dass sie in einem Anfall von Wut getötet wurde. Wut ist eine heftige, wilde Emotion, und ihre Ermordung war zu genau geplant, bis ins Detail überlegt. Die ganze Inszenierung war viel zu symbolisch. Es ist schon möglich, dass der Mörder wütend auf sie war, aber er hat nicht aus einem plötzlichen Impuls heraus gehandelt.« Er warf einen Blick auf Jones, der nickte. »Was bleibt uns da noch? Hass? Natürlich gab es eine Menge Leute, die sie nicht mochten, aber wenn bis jetzt keiner daran gedacht hatte, sie zu töten, warum dann plötzlich an diesem Abend? Eifersucht? Er schüttelte den Kopf. »Worauf hätte man bei ihr eifersüchtig sein können? Sie hat ja praktisch ein Einsiedlerleben geführt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Jane Marriott ihre Eifersucht jahrelang verdrängt hat, bis sie sich an diesem Abend plötzlich gewaltsam Bahn brach. Es mag eine Binsenwahrheit sein, aber Mathilda muss ermordet worden sein, weil jemand sie aus dem Weg haben wollte.«
Jones hatte M ühe, nicht sarkastisch zu werden. »Ich denke, dem können wir zustimmen«, sagte er.
Jack starrte ihn einen Moment an. »Ja, aber warum? Warum wollte jemand sie aus dem Weg haben? Was hat sie getan oder was wollte sie tun, dass sie deswegen getötet werden musste? Das ist die Frage, die Sie nie gestellt haben, oder jedenfalls immer nur in direktem Zusammenhang mit dem Testament.«
»Ja, weil es
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