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Die Schandmaske

Die Schandmaske

Titel: Die Schandmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Kinde, als Meeresungeheuer.«
    Aber ausgerechnet James zu benutzen! Das werde ich ihr niemals verzeihen. Oder benutzt vielleicht er sie? Vierzig Jahre haben ihn nicht ver ändert. Welch widerwärtigen Vergnügungen er in Hongkong nachgegangen sein muss, wo sich, wie ich gelesen habe, die Knaben als Mädchen verkleiden und den Päderasten den Kitzel vorgetäuschter Normalität verschaffen, wenn sie sich und ihre ekelhafte Abartigkeit vor einem naiven Publikum produzieren. Er sieht krank aus. Tja, sein Tod wäre eine elegante Lösung. Ich bin hier einen »höchst schmutzigen Handel« eingegangen. Alle reden heute so zungenfertig vom Kreislauf des Missbrauchs, aber ach, wie viel komplexer sind diese Kreisläufe als die simple Gewalt der Eltern am Kind. Alles befällt den, der sich paart...

3
    Jack arbeitete in seinem Atelier, als er endlich gegen elf Uhr Sarahs Schl üssel im Schloss hörte. Er sah auf, als sie an seiner offenen Tür vorüberging. »Wo bist du gewesen?«
    Sie war sehr m üde. »Bei den Hewitts. Sie haben mich zum Abendessen eingeladen. Hast du gegessen?« Sie kam nicht herein, sondern blieb an der Tür stehen.
    Er nickte zerstreut. Essen geh örte nicht zu den Prioritäten in Jacks Leben. Er wies mit dem Kopf auf die Leinwand auf der Staffelei. »Wie findest du es?«
    Wie viel einfacher w äre es, dachte sie, wenn ich ein Brett vor dem Kopf hätte und wirklich nichts davon verstünde, was er in seiner Arbeit anstrebt. Wie viel einfacher, wenn sie widerspruchslos akzeptieren könnte, was ein oder zwei Kritiker gesagt hatten; dass seine Arbeit prätentiöser Mist sei und schlechte Kunst.
    »Joanna Lascelles, nehme ich an.«
    Aber nicht eine Joanna Lascelles, die jeder erkannt h ätte, höchstens vielleicht im Schwarz der Trauerkleidung und im Goldton ihres Haars. Für Jack waren Form und Farbe Mittel, um Emotionen darzustellen, und dieses Gemälde war schon jetzt, in seinem frühesten Stadium, von einer außergewöhnlichen Turbulenz. Wochenlang würde er daran weiterarbeiten, Schicht um Schicht auflegen in dem Bemühen, durch das Medium der Ölfarben die Komplexität der menschlichen Persönlichkeit zu gestalten und abzubilden. Sarah, die seine Farbchiffren beinahe so gut verstand wie er selbst, konnte viel von dem deuten, was er bereits eingearbeitet hatte. Schmerz (um ihre Mutter?), Geringschätzung (für ihre Tochter?) und, nur allzu vorhersehbar, Sinnlichkeit (für ihn?).
    Jack beobachtete ihr Gesicht. »Sie ist eine interessante Frau«, sagte er.
    »Offensichtlich.«
    Er kniff ärgerlich die Augen zusammen. »Fang jetzt bloß nicht an«, murmelte er. »Ich bin nicht in Stimmung.«
    Sie zuckte die Achseln. »Ich auch nicht. Ich geh schlafen.«
    »Ich mach mich morgen an den Einband«, versprach er unwirsch. Er hielt sich mit dem Entwerfen von Bucheinbänden einigermaßen über Wasser, aber die Aufträge waren dünn gesät, da er selten die Termine einhielt. Die vom Kommerz diktierten Normen machten ihn wütend.
    »Ich bin nicht deine Mutter, Jack«, sagte sie kühl. »Was du morgen tust, ist deine Sache.“
    Aber er suchte Streit, wahrscheinlich, dachte Sarah, weil Joanna ihm geschmeichelt hatte. »Du kannst es einfach nicht lassen, was? Nein, du bist nicht meine Mutter, aber langsam hörst du dich genau so an.«
    »Das ist merkwürdig«, entgegnete sie ironisch. »Ich dachte immer, du bist mit ihr nicht ausgekommen, weil sie dir dauernd Vorschriften gemacht hat. Jetzt wirfst du mich mit ihr in einen Topf, obwohl ich genau das Gegenteil tue und deine Entscheidungen allein dir überlasse. Du bist ein Kind, Jack. Du brauchst in deinem Leben immer eine Frau, der du die Schuld an allem geben kannst, was bei dir schiefgeht.«
    »Ach, geht's hier wieder mal um Kinder?« zischte er. »Verdammt noch mal, Sarah, du hast gewusst, was Sache ist, bevor wir geheiratet haben, und du warst einverstanden. Die Karriere ist alles, weißt du noch? Und es hat sich nichts geändert. Jedenfalls für mich nicht. Ich kann nichts dafür, wenn deine Hormone Torschlusspanik kriegen. Wir hatten eine Abmachung. Keine Kinder.«
    Sie musterte ihn neugierig. Joanna, dachte sie, war offenbar weniger entgegenkommend gewesen, als er gehofft hatte. Nun gut! »Die Abmachung war, dass ich dich unterstützen würde, bis du Fuß gefasst hast, Jack. Danach war alles offen. Wir haben nur leider nicht bedacht, und das mache ich mir zum Vorwurf, weil ich mich allein auf mein künstlerisches Urteil verließ, dass du vielleicht nie Fuß fassen

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