Die Schandmaske
Beerdigung. Es war deprimierend. Seitdem frage ich mich dauernd, wozu das alles.«
»Ach, du meine Güte. Ewige Wahrheiten um halb neun Uhr morgens.« Sie stellte Sarah eine Tasse mit dampfendem Kaffee hin. »Welchen Sinn Mathilda Gillespies Leben hatte, wird sich vielleicht erst nach Generationen herausstellen. Sie steht in einer Familienkette. Wer kann sagen, welche Bedeutung diese Familie vielleicht in kommenden Jahren gewinnen wird. «
»Das ist gleich noch deprimierender«, sagte Sarah bedrückt.
»Das heißt, dass man Kinder haben muss, um dem eigenen Leben Sinn zu geben.«
»Unsinn. Ich habe keine Kinder, aber ich habe deswegen nicht das Gefühl, weniger wert zu sein. Unser Leben ist das, was wir daraus machen.« Sie sah Sarah nicht an, während sie sprach, und Sarah hatte den Eindruck, dass ihre Worte nur leere Hülsen waren. »Mathilda hat aus ihrem leider wenig gemacht«, fuhr Jane fort. »Sie hat es nie verwunden, dass ihr Mann sie verlassen hat, und war darüber verbittert. Ich vermute, sie glaubte, die Leute lachten sie hinter ihrem Rücken aus. Was natürlich auch viele von uns getan haben«, bekannte sie aufrichtig.
»Ich dachte, sie sei Witwe gewesen.« Wie wenig sie im Grund über die Frau wusste.
Jane sch üttelte den Kopf. »James hat sie verlassen, und wenn er noch lebt, ist er jetzt ihr Witwer. Die beiden haben sich nie scheiden lassen.«
»Und was ist aus ihm geworden?«
»Er ist nach Hongkong gegangen. Zu einer Bank.«
»Woher wissen Sie das?«
»Paul und ich haben ungefähr zehn Jahre, nachdem James und Mathilda sich getrennt hatten, eine Reise in den Fernen Osten gemacht und ihn zufällig in einem Hotel in Hongkong getroffen. Wir waren früher gut mit ihm bekannt, weil er und Paul zusammen im Krieg waren.« Sie lächelte eigenartig. »Er lebte wie Gott in Frankreich und kümmerte sich überhaupt nicht um seine Frau und seine Tochter.«
»Wovon haben die beiden gelebt?«
»Oh, Mathilda hatte von ihrem Vater genug geerbt. Ich habe mir manchmal gedacht, dass das im Grund ihr Unglück war. Sie wäre eine völlig andere Frau geworden, wenn sie ihren Kopf hätte gebrauchen müssen, um sich über Wasser zu halten. Es ist nicht gut für den Charakter, wenn einem alles in den Schoß fällt.«
Das war zweifellos richtig, wenn man Jack als Ma ßstab nehmen konnte. Halbe-halbe, dachte sie wütend. Da hast du dich aber gewaltig geschnitten, mein Lieber. »Und wann hat er sie verlassen?«
»Ach, das ist eine Ewigkeit her. Vielleicht anderthalb Jahre nach der Hochzeit. Jedenfalls vor mehr als dreißig Jahren. Ein oder zwei Jahre lang hat er uns noch geschrieben, dann ist die Verbindung abgerissen. Ehrlich gesagt, wir fanden ihn ziemlich unangenehm. Als wir ihn in Hongkong trafen, hatte er stark zu trinken angefangen, und er wurde immer sehr aggressiv, wenn er betrunken war. Wir waren beide eher erleichtert, als keine Briefe mehr kamen. Danach haben wir nie wieder von ihm geh ört.«
»Wusste Mathilda, dass er Ihnen geschrieben hatte?« fragte Sarah neugierig.
»Das kann ich wirklich nicht sagen. Wir waren inzwischen nach Southampton gezogen und hatten mit ihr wenig zu tun. Gemeinsame Freunde erzählten ab und zu einmal von ihr, sonst jedoch hatten wir keinerlei Verbindung. Wir sind erst vor fünf Jahren hierher zurückgekommen, als Paul krank wurde, und ich fand, dass die frische Luft in Dorset auf jeden Fall besser für ihn wäre als der Dreck in Southampton.«
Paul Marriott litt an einem chronischen Emphysem, und Jane machte sich gro ße Sorgen um ihn. »Das war das Beste, was Sie tun konnten«, erklärte Sarah. »Er hat mir selbst gesagt, dass es ihm viel besser geht, seit er wieder hier ist.« Sie wusste aus Erfahrung, dass Jane das Thema jetzt, da sie es angeschnitten hatte, so leicht nicht mehr fallenlassen würde, und versuchte deshalb, sie abzulenken. »Haben Sie Mathilda eigentlich gut gekannt?«
Jane überlegte einen Moment. »Wir sind zusammen aufgewachsen - mein Vater war hier viele Jahre lang Arzt, und Paul war eine Zeitlang der politische Vertreter ihres Vaters - Sir William war unser Parlamentsabgeordneter -, aber ich glaube, ich habe Mathilda überhaupt nicht gekannt. Das lag wohl daran, dass ich sie nie gemocht habe.« Sie machte ein reumütiges Gesicht. »Es ist schlimm, das von einer Toten zu sagen, aber ich will nicht heucheln. Sie war wirklich die unangenehmste Frau, die mir je begegnet ist. Ich konnte verstehen, dass James sie verließ. Das einzige Geheimnis war,
Weitere Kostenlose Bücher