Die Schandmaske
- ich wollte« - sie lächelte durch Tränen -, »ich wollte, ich hätte die gleichen Chancen gehabt wie Ihre Kinder. Sie müssen Ihnen sehr dankbar sein, Sergeant Cooper.« Sie zog einen Brief aus ihrer Tasche und reichte ihn ihm. »Das ist der Brief von meiner Großmutter«, sagte sie. »Ich habe ihn nicht weggeworfen, aber ich konnte ihn Ihnen nicht zeigen, weil sie darin über mein Stehlen schreibt.« Eine Träne tropfte auf ihre Hand. »Ich hab sie wirklich liebgehabt, wissen Sie, aber sie hat es nicht gewusst, als sie gestorben ist, und das ist fast schlimmer als alles andere.«
»Ja«, sagte er mitfühlend, »das kann ich mir vorstellen, weil Sie es nicht wiedergutmachen können.«
»Nein, niemals.«
»Nun, ob niemals - das kann man so nicht sagen. Wir alle können in unserem Leben aus unseren Fehlern lernen und uns bemühen, sie nicht zu wiederholen. Keiner von ist unfehlbar, Ruth, aber wir schulden es uns selbst und den anderen, nach unserem besten Wissen und Gewissen zu handeln. Wie sollte sonst die Menschheit je besser werden?«
Sie press te ihren Mund zusammen, um die Tränen zurückzuhalten. »Und nach Ihrem Wissen wäre ein Schwangerschaftsabbruch für mich das Beste?«
»Ja«, sagte er absolut aufrichtig. »Ich glaube, das wäre das Beste für Sie.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Im Augenblick sind Sie noch nicht alt genug und auch nicht widerstandsfähig genug, um einem Kind Mutter und Vater zu sein, und Sie sind viel zu sehr von Schuldgefühlen über Ihren vermeintlichen Verrat an Ihrer Großmutter gequält, um dieses Kind wegzugeben.« Er lächelte scheu. »Ich erwarte gewiss nicht, dass Sie mit mir einer Meinung sind, und schon gar nicht werde ich Ihnen den Rücken kehren, wenn Sie sich entschließen sollten, Ihr Kind zur Welt zu bringen. Dr. Blakeney hat ganz recht, wenn sie sagt, dass es einzig Ihre Entscheidung ist. Aber ich würde mir wünschen, Sie würden erst einmal ein bisschen leben und einen Mann finden, den Sie lieben können und der Sie ebenfalls liebt, ehe Sie ein Kind in die Welt setzen. Dann nämlich werden Ihre Kinder erw ünscht sein, und Sie können ihnen die Mutter sein, die Sie gern sein möchten.« Sie wollte ihm danken, aber sie brachte kein einziges Wort heraus. Also nahm Cooper sie in die Arme und drückte sie an sich. Hinter ihnen sah Sarah Jack mit Tränen in den Augen an. »Erinnere mich daran«, flüsterte sie, »wenn ich zu selbstgefällig werde. Ich habe eben erst gelernt, wie wenig ich in Wirklichkeit weiß.«
»Meine liebe Ruth (hatte Mathilda geschrieben), Deine Mutter und ich haben uns wegen eines Briefes zerstritten, den mein Onkel Gerald Cavendish kurz vor seinem Tod schrieb und mit dem er Joanna zu seiner Erbin einsetzte. Sie hat gedroht, mit diesem Brief vor Gericht zu gehen, weil sie überzeugt ist, dass sie damit das Testament meines Vaters anfechten kann. Sie wird damit keinen Erfolg haben, aber es ist mir nicht gelungen, sie davon zu überzeugen. Sie ist verständlicherweise verärgert und möchte mich bestrafen. Mir ist klargeworden, dass es in dieser Familie zu viel Geheimniskrämerei gegeben hat, deshalb schreibe ich Dir jetzt, um Dir mitzuteilen, was sie schon weiß. Ich möchte nicht, dass Du es von ihr erfahren musst, denn sie wird sicher nicht sanft mit Dir umgehen. James Gillespie ist nicht der Vater Deiner Mutter. Gerald Cavendish war ihr Vater. Ich weiß, das wird ein Schock für Dich sein, aber Du solltest tun, was ich all die Jahre getan habe, es nämlich als etwas sehen, das geschehen ist und das man nicht bedauern sollte. Es wird Dir vielleicht schwerfallen, es zu glauben, aber ich habe Deine Mutter trotz allem immer liebgehabt, gerade so wie ich Dich liebhabe.
Ich stehe jetzt vor einer schwierigen Wahl. Ich wei ß, mein Kind, dass Du mich schon seit einigen Monaten bestiehlst. Ich weiß auch, dass Deine Mutter sich aus dem wirklichen Leben zurückgezogen hat in eine Scheinwelt der Drogenabhängigkeit und der unverbindlichen Beziehungen, die ihr die Illusion vermitteln, sie werde geliebt, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Ihr lasst Euch beide von Männern missbrauchen, und ich finde das angesichts meiner eigenen Geschichte zutiefst entmutigend. Ich weiß, ich habe versagt, und habe deshalb beschlossen, Euch beiden die Freiheit zu geben, Eure eigenen Entscheidungen über Eure Zukunft zu treffen. Ich habe die Absicht, Dir und Deiner Mutter an Deinem achtzehnten Geburtstag eine beträchtliche Summe Geld zu übertragen,
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