Die Schandmaske
»Bitte.« Er reichte es Cooper über den Tisch.
Cooper sah es aufmerksam an. Der Brief war vom Sonntag, den sechsten November datiert und mit Maschine geschrieben. Es war, wie Howard gesagt hatte, eine Best ätigung ihrer Entscheidung, mit dem nächsten Bauabschnitt zu warten, bis die Preise wieder in die Höhe gingen. »Wann, sagten Sie, haben Sie das bekommen?«
»Zwei Tage nach dem Anruf.«
»Das wäre ein Sonntag gewesen.«
»Dann am Montag oder vielleicht auch am Dienstag.«
»Hat sie ihre Briefe immer mit Maschine geschrieben?«
»Soweit ich mich erinnere, nie.« Er blätterte in der Akte. »Nein, immer mit der Hand. Eine Schrift wie gestochen.«
Cooper dachte an ihren Brief an Ruth. Auch der war mit der Hand geschrieben gewesen. »Haben Sie andere Briefe von ihr da? Ich würde gern die Unterschriften vergleichen.«
Howard befeuchtete einen Finger und bl ätterte die Akte durch, um ihr mehrere Schreiben zu entnehmen. »Glauben Sie, dass jemand anders den Brief geschrieben hat?«
»Das ist jedenfalls eine Möglichkeit. Es gibt keine Schreibmaschine in ihrem Haus, und sie war am Samstagabend schon tot. Wann hätte sie den Brief schreiben lassen sollen?« Er legte die Blätter nebeneinander auf den Schreibtisch und musterte mit zusammengekniffenen Augen die Unterschriften. »Ja, ja«, sagte er mit Befriedigung, »man kann eben nicht raffiniert genug planen ... Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Mr. Howard. Darf ich diese Briefe mitnehmen?«
»Dann brauch ich aber Fotokopien für meine Akten.« Er zeigte unverhohlen seine Neugier. »Mir ist überhaupt nicht der Gedanke gekommen, dass da was nicht in Ordnung sein könnte. Was stimmt denn nicht?«
Cooper deutete mit dem Finger auf die Unterschrift unter dem getippten Brief. »Hier, er hat seine i s mit Pünktchen versehen« - er zeigte auf die anderen Unterschriften - »sie hat das nie getan. Sein M ist zu gerade, und das G ist mit dem nachfolgenden i verbunden.« Er lachte zufrieden. »Da werden sich die Experten freuen. Eine ziemlich schlampige Nachahmung alles in allem.«
»Ist wohl ein bisschen dumm?«
»Arrogant, würde ich sagen. Auch das Fälschen einer Handschrift ist eine Kunst. Man muss Jahre üben, um wirklich gut zu sein.«
»Ich lasse gerade bei den Orloffs einen Container voll alter Asche durchsieben«, berichtete Charlie Jones Cooper, als dieser auf die Dienststelle zurückkehrte. »Die Leuten haben mir gemeldet, dass sie die Tagebücher gefunden haben. Oder, genauer gesagt, was noch von ihnen übrig ist. Es sind nur ein paar Papierfetzen, dafür haben wir aber mehrere recht große Stücke des Kalbsledereinbands. Sie sind jetzt noch bei der Suche. Sie hoffen, wenigstens ein Fetzchen zu finden, auf dem ihre Schrift noch zu erkennen ist.« Er rieb sich erwartungsfroh die Hände.
»Dann sollen sie gleich auch mal nach Überresten von getippten Briefen suchen, am besten mit dem Briefkopf von Howard & Sons«, sagte Cooper, während er sein Bündel Briefe herauszog. »Die Firma hat Mathilda Gillespie am ersten November ein Angebot für ihr Grundstück gemacht, aber wir haben keine Spur davon gefunden, als wir ihre Papiere durchgesehen haben. Wahrscheinlich hat Orloff gleich die ganze Akte mitgehen lassen. Howard senior hat stapelweise Korrespondenzen über Cedar Estate, aber im Haus haben wir nicht einen einzigen Brief zu dieser Sache gefunden. Sonst wären wir dem guten Orloff vielleicht früher auf die Schliche gekommen.«
»Schuld daran ist allein Mathilda Gillespie selbst. Sie hat vermutlich gelernt, dass sie keinem Menschen trauen kann, und das ist der Grund, weshalb sie immer alles für sich behalten hat. Sie hat es ja in ihrem Brief an Ruth geschrieben, es hat in dieser Familie so viel Geheimniskrämerei gegeben! Wenn sie wenigstens ihrem Anwalt etwas von ihren Plänen gesagt hätte, wäre sie jetzt vielleicht noch am Leben.«
»Trotzdem - wir haben nicht die richtigen Fragen gestellt, Charlie.«
Charlie Jones lachte trocken. »Wenn die Lösung zweiundvierzig lautet, wie lautet dann die Frage wirklich? Lesen Sie Per Anhalter durch die Galaxis, guter Freund. Es ist schwieriger, die richtige Frage zu stellen, als die Antwort zu finden. Lassen Sie sich darüber mal keine grauen Haare wachsen.«
Cooper, der sich etwas versp ätet um eine Verbesserung seiner Lektüre bemühte, zog sein Heft heraus und schrieb sich den Titel auf. Er konnte nur hoffen, dass dieses Werk leichter verdaulich war als der Othello, den er im Moment gerade
Weitere Kostenlose Bücher