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Die Schandmaske

Die Schandmaske

Titel: Die Schandmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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haben einander in nichts nachgestanden. Da war eine so gemein wie die andere, nur auf unterschiedliche Art. Großmutter hat immer gesagt, was sie dachte, und meine Mutter hat gestichelt. Es war furchtbar, mit den beiden zusammen zu sein.« Ihre Lippen wurden schmal und verkniffen. »Das war das einzige Gute daran, dass sie mich aufs Internat geschickt haben. Meine Mutter ist wieder nach London gezogen, und ich konnte mir aussuchen, ob ich die Ferien hier verbringen wollte oder bei meiner Mutter. Ich war nicht mehr der Fu ßball für die beiden.«
    Wie wenig Sarah über diese drei Frauen wusste. Wo zum Beispiel war Mr. Lascelles? Hatte er wie James Gillespie die Flucht ergriffen? Oder nannte sich Joanna nur Lascelles, um ihrer Tochter einen Namen zu geben? »Wie lang haben Sie und Ihre Mutter hier gelebt, ehe Sie aufs Internat kamen?«
    »Von der Zeit, als ich noch ein Baby war, bis zu meinem elften Lebensjahr. Mein Vater ist gestorben, und wir saßen ohne einen Penny da. Mama musste auf Knien nach Hause kriechen, sonst wären wir verhungert. Jedenfalls hat sie's mir so erzählt. Aber ich glaube, sie war einfach zu hochmütig und zu faul, um irgendeine einfache Arbeit anzunehmen. Sie hat sich lieber von Großmutter beschimpfen lassen, als sich die Hände schmutzig zu machen.« Sie schlang ihre Arme um sich und wiegte sich sachte hin und her. »Mein Vater war Jude«, sagte sie mit verächtlichem Unterton.
    Sarah war schockiert. »Warum sagen Sie das in diesem Ton?«
    »So hat Großmutter immer von ihm gesprochen. Dieser Jude , hat sie immer gesagt. Sie war Antisemitin. Wussten Sie das nicht?«
    Sarah sch üttelte den Kopf.
    »Dann haben Sie sie nicht sehr gut gekannt.« Ruth seufzte. »Er war Musiker, Bassgitarrist. Er hat mit einem Studio zusammengearbeitet. Er hat die Hintergrundbegleitung gemacht, wenn die Gruppen nicht gut genug waren, um sie selber zu machen, und er hatte auch eine eigene Band, mit der er manchmal aufgetreten ist. Er ist 1978 an einer Überdosis gestorben. Ich kann mich überhaupt nicht an ihn erinnern, aber Großmutter hat mir immer mit Wonne erzählt, was für ein wertloser Mensch er war. Er hieß Steven, Steven Lascelles.« Sie schwieg.
    »Wie hat Ihre Mutter ihn kennengelernt?«
    »Auf einer Party in London. Sie sollte sich eigentlich einen Märchenprinzen angeln, stattdessen hat sie sich den Gitarristen geangelt. Großmutter hatte keine Ahnung davon, bis meine Mutter ihr eröffnete, dass sie schwanger war, und dann war natürlich die Hölle los. Ich meine, stellen Sie sich das doch mal vor! Mama von einem jüdischen Rockgitarristen geschwängert, der auch noch auf Heroin war!« Sie lachte ironisch. »Das war eine schöne Rache!« Ihre Arme färbten sich langsam blau vor Kälte, aber sie schien es nicht zu merken. »Na kurz und gut, sie haben geheiratet, und sie ist zu ihm gezogen. Dann kam ich auf die Welt, und sechs Monate später war er tot, nachdem er ihr ganzes Geld für Heroin ausgegeben hatte. Er hatte monatelang keine Miete mehr bezahlt. Meine Mutter war Witwe - sie war noch keine dreiundzwanzig -, hatte ein kleines Kind, kein Geld und kein Dach über dem Kopf.«
    »Dann war es für sie wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, hierher zur ückzukommen.«
    Ruth schnitt ein Gesicht. »Sie hätten es bestimmt nicht getan, wenn Sie gewusst hätten, dass Ihnen Ihr Fehler ewig vorgehalten würde.«
    Wahrscheinlich nicht, dachte Sarah. Sie fragte sich, ob Joanna Steven Lascelles geliebt hatte oder ob sie sich, wie Ruth unterstellt hatte, nur aus Rache mit ihm eingelassen hatte. »Hinterher ist man immer klüger«, sagte sie nur.
    Ruth fuhr fort, als h ätte sie ihre Bemerkung nicht gehört. »Großmutter wollte mir unbedingt einen andren Namen geben - was Englischeres, verstehen Sie, um das Jüdische in mir auszuradieren. Eine Zeitlang hat sie mich Elizabeth genannt, aber als Mutter dann drohte, mit mir wegzugehen, hat Großmutter klein beigegeben. Aber sonst hat meine Mutter sich praktisch alles von Großmutter gefallen lassen. Nur die Schandmaske durfte sie mir nicht aufsetzen, wenn ich geweint hab.« Ihre Augen blitzten voller Verachtung. »Sie war echt schwach. Dabei war's überhaupt keine Kunst, sich gegen Großmutter zu wehren. Ich hab's immer getan, und wir haben uns prima verstanden.«
    Sarah hatte keine Lust, sich in die Streitigkeiten einer Mutter und einer Tochter hineinziehen zu lassen, die sie kaum kannte. Sie blickte zu den langen Schatten hinaus, die jetzt, da die Sonne hinter

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