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Die Schandmaske

Die Schandmaske

Titel: Die Schandmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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ungewohnt grausam. Wo, dachte sie, ist ihr Humor geblieben?
    »Ich möchte ein für allemal klarstellen, dass Joanna nicht die Tochter James Gillespies ist, sondern die Tochter meines Onkels, Gerald Cavendish. Er war der ältere Bruder meines Vaters, und -« sie suchte nach den rechten Worten - »und das Verhältnis zwischen uns begann ungefähr vier Jahre, nachdem er meinem Vater und mir nach dem Tod meiner Mutter angeboten hatte, zu ihm ins Cedar House zu ziehen. Mein Vater hatte keine eigenen Mittel, da das Familienvermögen an den ältesten Sohn, Gerald, übergegangen war. Das Vermögen meiner Mutter fiel bei ihrem Tod wieder an ihre eigene Familie, abgesehen von einem kleinen Erbe für mich, das von Treuhändern verwaltet wurde. Ohne Geralds Einladung, zu ihm zu ziehen, hätten mein Vater und ich ohne ein Dach über dem Kopf dagestanden. Soweit war ich ihm dankbar. In jeder anderen Hinsicht habe ich diesen Mann verachtet und verabscheut.« Sie lächelte kalt. »Ich war ein Kind von dreizehn Jahren, als er mich das erste Mal vergewaltigte.«
    Sarah war entsetzt - nicht nur über das, was Mathilda sagte, sondern auch dar über, wie sie es sagte. Das war nicht die Mathilda, die sie kannte. Warum gab sie sich so hart, so eiskalt berechnend?
    »Er war ein Säufer und ein Ungeheuer, genau wie mein Vater, und ich habe sie beide gehasst. Gemeinsam machten sie jede Chance, die ich vielleicht gehabt hätte, eine glückliche und dauerhafte Beziehung einzugehen, zunichte. Ich weiß bis heute nicht, ob mein Vater wusste, was Gerald tat, aber für mich gibt es keinen Zweifel, dass er, wenn er es gewusst hätte, nichts dagegen unternommen hätte, weil er viel zu viel Angst gehabt hätte, dass Gerald uns dann an die Luft setzen würde. Mein Vater war ein äußerst fauler Mensch, der sich erst von der Familie seiner Frau aushalten ließ und dann von seinem Bruder. Nur ein einziges Mal in seinem Leben hat er ernsthaft gearbeitet, als er sich um einen Sitz im Parlament bewarb, und da auch nur, weil er sich von der Parlamentszugehörigkeit die Erhebung in den Adelsstand versprach. Sobald man ihn gewählt hatte, wurde er natürlich wieder das, was er in Wirklichkeit war - ein absolut nichtswürdiger Mensch.«
    Wieder machte sie eine Pause, das Gesicht voll bitterer Erinnerung.
    »Zwölf Jahre lang wurde ich immer wieder von meinem Onkel missbraucht, bis ich schließlich in meiner Verzweiflung mit meinem Vater sprach. Ich kann keine angemessene Erklärung dafür geben, warum ich so lange brauchte; ich kann nur sagen, dass ich in ständiger Angst vor beiden lebte. Ich war eine Gefangene, in finanzieller und in gesellschaftlicher Hinsicht, und ich war, wie viele meiner Generation, in der Überzeugung erzogen worden, die natürliche Autorität in der Familie gehöre den Männern. Ich danke Gott, dass diese Zeiten zu Ende gehen, denn ich weiß heute, dass Autorität nur denen gebührt, die sich die Achtung erwerben, sie auszuüben, egal, ob Männer oder Frauen.« Sie schwieg einen Moment.
    »Mein Vater gab natürlich mir die Schuld an allem, was geschehen war, nannte mich eine widerwärtige Hure und lehnte es ab, irgendetwas zu unternehmen. Wie mir von vornherein klargewesen war, zog er es vor, den Status quo auf meine Kosten aufrechtzuerhalten. Aber er war angreifbar. Er war ja jetzt Parlamentsmitglied. In meiner Verzweiflung drohte ich ihm damit, an die Konservative Partei und an die Zeitungen zu schreiben und die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was für eine Familie die Cavendishs in Wirklichkeit waren. Daraufhin kam es zu einem Kompromiss. Ich durfte James Gillespie heiraten, der Interesse an mir bekundet hatte, und dafür verpflichtete ich mich, Schweigen zu bewahren. Unter diesen Bedingungen versuchten wir, unser Leben weiterzuführen; mein Vater allerdings, der vielleicht fürchtete, ich würde mein Wort brechen, bestand auf meiner sofortigen Verheiratung mit James. Er besorgte ihm einen Posten im Finanzministerium und schob uns in eine Wohnung in London ab.“
    Diesmal folgte eine l ängere Pause, in der sie ihre Brille zurechtrückte und zum nächsten Blatt ihrer Notizen griff. »Leider war ich zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger, und als weniger als fünf Monate nach der Hochzeit Joanna zur Welt kam, begriff selbst James, der gewiss nicht einer der Intelligentesten war, dass sie unmöglich sein Kind sein konnte. Danach wurde das Leben sehr schwierig. Er hegte, nicht ganz unverständlich, einen tiefen Groll gegen uns

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