Die Schandmaske
alle Dorfbewohner und Fremde wie Sie, die sie kannten, bitten, uns ihre Fingerabdrücke zu Vergleichszwecken zur Verfügung zu stellen. Ich habe den Chef überredet, feststellen zu lassen, wer sonst noch in dem Haus war, ehe er den Schlussstrich unter diesen Fall zieht.«
»Sie scheinen Mrs. Gillespies Tod sehr persönlich zu nehmen.«
»Bei der Polizei geht's zu wie in jeder anderen Firma, Doktor. Je höher man steigt, desto besser sieht am Ende die Pension aus.« Sein liebenswürdiges Gesicht wurde plötzlich zynisch. »Aber Beförderung hat weniger mit Tüchtigkeit zu tun, als mit einem Talent zur Selbstdarstellung, und bisher hat sich immer irgendein anderer mit meinen Lorbeeren geschmückt. O ja, Sie haben recht, ich nehme Mrs. Gillespies Tod persönlich. Es ist mein Fall. «
Sarah fand das auf eine traurige Art erheiternd. Wie h ätte sich wohl Mathilda dazu gestellt, dass ein Polizeibeamter von ihrem Tod zu profitieren hoffte? Immer vorausgesetzt natürlich, er konnte beweisen, dass es Mord war, und dann den Mörder überführen. Sarah hätte sich besser gefühlt, wenn sie nicht so überzeugt gewesen wäre, dass ihm beides gelingen würde.
»Keith? Sarah hier, Sarah Blakeney. Hat Jack sich zufällig bei dir gemeldet?« Sie spielte mit dem Telefonkabel. Draußen hörte sie Coopers Wagen davonfahren. Zu viele Schatten in diesem Flur, dachte sie.
»In letzter Zeit nicht«, antwortete Keith Smolletts freundliche Stimme. »Hast du das denn erwartet?«
Es hatte keinen Sinn, um den hei ßen Brei herumzuschleichen. »Wir hatten Krach. Ich habe ihm gesagt, dass ich die Scheidung will, und daraufhin ist er wütend abgezogen. Er hat mir einen Brief hinterlassen, in dem er schrieb, ich könnte ihn über dich erreichen.«
»Ach, du meine Güte! Aber ich kann euch doch nicht beide vertreten, Sarah. Jack wird sich schon einen anderen Anwalt suchen müssen.«
»Er hat sich für dich entschieden. Ich muss mir jemand anderen suchen.«
»Kommt nicht in Frage«, erwiderte Keith fröhlich. »Meine Mandantin bist du, Süße. Alles, was ich für diesen Faulpelz getan habe, habe ich nur getan, weil er dein Mann ist.«
Er und Sarah waren seit Studientagen befreundet, und es hatte einmal eine Zeit gegeben, bevor Jack auf der Bildfl äche erschien, als Keith selbst an Sarah interessiert gewesen war. Jetzt war er glücklich verheiratet, hatte drei kräftige junge Söhne und dachte nur noch an sie, wenn sie ihn anrief, was selten genug vorkam.
»Ja, hm, das ist im Moment Nebensache. Das Wichtige ist, dass ich ihn dringend sprechen muss. Er wird sich bestimmt bei dir melden. Würdest du mir Bescheid geben, wo ich ihn erreichen kann, sobald er es tut. Es ist wirklich wichtig.« Sie sah zur Treppe hinüber, ihr Gesicht ein blass schimmerndes Oval im Widerschein des Lichts aus der Küche. Viel zu viele Schatten.
»In Ordnung.«
»Ach, und noch etwas. Die Polizei ermittelt hier in einem möglichen Mordfall, und ich würde gern wissen, wie ich mich da verhalten soll.« Sie hörte, wie er scharf die Luft einsog. »Nein, nein, ich habe damit nichts zu tun, aber ich glaube, mir ist etwas anvertraut worden, was ich eigentlich weitergeben sollte. Die Polizei scheint von der Tatsache keine Kenntnis zu haben, aber es ist eine unheimlich heikle Geschichte, und ich habe sie auch nur aus zweiter Hand, und wenn sie für den Fall selbst nicht von Belang ist, begehe ich vielleicht einen Vertrauensbruch, der für einige Menschen schlimme Folgen haben wird. « Sie hielt inne. Warum hatte Ruth ihr und nicht Cooper von dem Brief erzählt? Oder hatte sie mit Cooper auch darüber gesprochen? »Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
»Nicht sehr. Ich würde dir raten, der Polizei nichts zu verheimlichen, es sei denn, es handelt sich um vertrauliche medizinische Daten über einen Patienten.«
»Die Person, die mit mir gesprochen hat, ist kein Patient.«
»Dann gibt's doch für dich kein Problem.«
»Aber vielleicht zerstöre ich das Leben mehrerer Menschen, wenn ich rede«, sagte sie zweifelnd. »Es geht hier um ethische Grundsätze, Keith.«
»Nein, geht es nicht. Außerhalb der Kirche und dem Elfenbeinturm gibt es keine ethischen Grundsätze. Es geht hier um die große böse Welt, in der sogar Ärzte ins Gefängnis wandern, wenn sie die Polizei in ihren Ermittlungen behindern. Du hast überhaupt keine Chance, mein Kind, wenn sich herausstellt, dass du Informationen zurückgehalten hast, die einen Mörder hätten überführen
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