Die Schandmaske
beide, der, wenn er zu viel getrunken hatte, sich in Gewaltausbrüchen äußerte. Anderthalb Jahre setzten wir dieses unglückliche Zusammenleben fort, bis James mir eines Tages eröffnete, er habe eine Stellung im Ausland angenommen und werde schon am nächsten Tag abreisen. Ohne uns. Ich habe sein Weggehen niemals bedauert, und es hat mich nie im geringsten gekümmert, was aus ihm geworden sein mochte. Er war ein sehr unangenehmer Zeitgenosse.« Der Blick der alten Augen war arrogant und voller Verachtung, doch Sarah zumindest hatte das Gefühl, dass etwas unausgesprochen geblieben war. Mathilda, dachte sie, war nicht ganz ehrlich.
»Es ist müßig, sich jetzt all der Schwierigkeiten in den Monaten nach seiner Abreise zu erinnern. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass das Geld knapp war. Joanna hat nach Stevens Tod Ähnliches durchgemacht. Allerdings mit einem Unterschied: Mein Vater lehnte es ab, mir zu helfen - er war inzwischen in den Adelsstand erhoben worden, und es war genug Zeit vergangen, um die Wirkung meiner Drohungen abzuschwächen. Ich hingegen habe dir geholfen, Joanna, auch wenn du es mir nie gedankt hast. Als ich schließlich damit rechnen musste, aus der Wohnung geworfen zu werden, schrieb ich in letzter Not an Gerald und bat ihn um Unterhalt für seine Tochter. Er hatte, vermute ich, bis zu diesem Moment keine Ahnung von Joannas Existenz gehabt -« sie lächelte zynisch - »und mein Brief veranlasste ihn zu der einzigen ehrenhaften Handlung seines Lebens. Er brachte sich mit einer Überdosis Schlaftabletten um. Schade ist nur, dass er nicht den Anstand besaß, es schon früher zu tun.« Ihre Stimme war scharf vor Hass. »Man deklarierte es als Tod durch Unglücksfall, aber ich kann nicht glauben, dass zwischen den beiden Ereignissen, dem Erhalt meines Briefs und seinem Tod, kein Zusammenhang bestand, besonders nicht in Anbetracht des Schreibens, das er seinem Anwalt schickte und mit dem er Joanna zur Erbin seines gesamten Vermögens einsetzte.«
Sie griff zum offenbar letzten Blatt ihrer Aufzeichnungen. »Ich komme jetzt zu den Gründen, die mich veranlasst haben, diesen Film zu machen. Zuerst Joanna. Du hast mir mit öffentlicher Bloßstellung gedroht, wenn ich mich weigern sollte, das Cedar House unverzüglich zu räumen und das gesamte Vermögen dir zu überlassen. Ich weiß nicht, wer dich auf den Gedanken brachte, nach dem Brief deines Vaters zu suchen. Ich habe allerdings meine Vermutungen. « Sie lächelte bitter. »Aber du warst falsch informiert über deine Rechte. Geralds albernes Testament macht die letztwillige Treuhandverfügung seines Vaters nicht ungültig. Mit dieser Verfügung räumte sein Vater ihm ein lebenslanges Nießbrauchrecht am Familienvermögen ein, das danach an seinen nächsten männlichen Verwandten, nämlich meinen Vater, übergehen sollte. Mit seinem Tod übertrug Gerald lediglich seinem Bruder und den Erben seines Bruders eine dauernde Anwartschaft auf das Vermögen der Cavendishs. Und das wusste er auch ganz genau. Bilde dir nur ja nicht ein, dieses erbärmliche Testament sei mehr gewesen als der Sühneversuch eines Schwächlings für begangene Sünden. Vielleicht war er naiv genug zu glauben, mein Vater würde die Verpflichtung anerkennen, vielleicht glaubte er auch nur, Gott würde weniger hart mit ihm verfahren, wenn er sich bereit zeigte, Buße zu tun. So oder so war er ein Narr. Immerhin war er klug genug, mir eine Abschrift des Kodizills zu schicken. Ich konnte damit meinen Vater unter Druck setzen, indem ich ihm drohte, damit vor Gericht zu gehen und die Treuhandverfügung anzufechten. Mein Vater erklärte sich daraufhin bereit, zeit seines Lebens für dich und mich zu sorgen, und mir - dazu war er befugt - bei seinem Tod das Vermögen zu vermachen. Wie du weißt, starb er keine zwei Jahre später, und ich bin mit dir wieder ins Cedar House gezogen.« Ihre Augen, die unverwandt in die Kamera blickten, schienen ihre Tochter zu suchen. »Du hättest mir nicht drohen sollen, Joanna. Du hattest keinen Grund dazu, während ich allen Grund hatte, meinem Vater zu drohen. Ich habe dir auf die eine oder andere Weise einige sehr großzügige Summen zukommen lassen und bin der Meinung, dass ich damit alle meine Verpflichtungen dir gegenüber abgegolten habe. Solltest du mich nicht schon verklagt haben, wenn du diese Aufnahme siehst, so rate ich dir, dein Geld nach meinem Tod nicht daran zu verschwenden. Du kannst es mir glauben, ich habe dir mehr gegeben, als dir
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