Die Schandmaske
Begeisterung für sie anders nicht erklären kann. Sie ist natürlich ihrer Mutter wegen eifersüchtig. Sie war es ganz zufrieden, ihre Mutter zu hassen und von ihr gehasst zu werden, bis sie entdeckte, dass sie eine Nebenbuhlerin hatte. Eifersucht hat weit mehr mit Besitz als mit Liebe zu tun.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sie von der Beziehung Ihrer Frau zu Mrs. Gillespie schon vor dem Tod von Mrs. Gillespie wusste?«
»Nein. Wäre das der Fall gewesen, so hätte sie wahrscheinlich etwas dagegen unternommen.« Die Augen nachdenklich zusammengekniffen, rieb er sich das stoppelige Kinn. »Aber dazu ist es jetzt zu spät, und das kann die Eifersucht nur schlimmer machen. Sie wird anfangen, die Fehler ihrer Mutter zu vergessen, sich Phantasievorstellungen über die Beziehung Sarahs zu ihrer Mutter machen und sich mit Gedanken über ihre eigenen verpassten Gelegenheiten quälen. Seien wir doch mal ehrlich, wir alle möchten glauben, dass unsere Mütter uns lieben. Es ist doch angeblich die einzige Beziehung, auf die man sich verlassen kann. «
Nun z ündete sich Cooper doch eine zweite Zigarette an. Den Blick nachdenklich auf ihr glühendes Ende gerichtet, sagte er: »Sie behaupten also, Mrs. Lascelles sei eifersüchtig auf Ihre Frau, weil diese eine gute Beziehung zu Mrs. Gillespie hatte. Warum ist sie dann nicht auf ihre eigene Tochter eifersüchtig? Die junge Dame hat uns selbst erzählt, dass sie sich mit ihrer Großmutter glänzend verstanden hat.«
»Glauben Sie ihr das?«
»Es gibt keine Beweise für das Gegenteil. Die Hausmutter in ihrem Internat hat uns erzählt, dass Mrs. Gillespie regelmäßig geschrieben hat und bei ihren Besuchen immer sehr liebevoll wirkte. Weit liebevoller und mehr um Ruths Wohl besorgt offenbar als Mrs. Lascelles, die sich nur selten blicken lässt und kaum Interesse an den Leistungen und am Befinden ihrer Tochter zeigt.«
»Das alles sagt mir nur, dass Mathilda eine großartige Heuchlerin war. Man darf ihren Snobismus nicht ignorieren, sonst bekommt man ein verzerrtes Bild. Southcliffe ist ein sehr teures Mädcheninternat. In so einer Umgebung hätte Mathilda sich niemals eine Blöße gegeben. Sie hat immer von den Leuten ihrer Kreise gesprochen und bedauert, dass es in Fontwell keine davon gab.«
Cooper sch üttelte skeptisch den Kopf. »Das deckt sich aber nicht mit dem, was Sie mir früher gesagt haben. Sie haben sie als Individualistin reinsten Wassers bezeichnet. Jetzt erzählen Sie mir, dass sie sich bei den besseren Leuten angebiedert hat, weil sie unbedingt dazugehören wollte.«
»Durchaus nicht. Sie war eine Cavendish und außerordentlich stolz auf diese Tatsache. Hier sind jahrelang bedeutende und einflussreiche Leute ein und aus gegangen. Ihr Vater, Sir William Cavendish, war nach einer Amtszeit als Parlamentsabgeordneter in den Adelsstand erhoben worden. Sie gehörte bereits zu den besseren Leuten , wie Sie es formulieren, und hatte es nicht nötig, sich anzubiedern.« Er schloss einen Moment die Augen in dem Bemühen, sich zu erinnern. »Nein, das, was sie trotz allen elitären Gehabes, mit dem sie in der Öffentlichkeit die Leute in die Schranken zu weisen pflegte, außergewöhnlich machte, war, dass sie innerlich von Widersprüchen geschüttelt wurde. Vielleicht hatte der Missbrauch durch ihren Onkel damit zu tun, aber der wahre Grund ist meiner Ansicht nach, dass sie in die falsche Generation hineingeboren wurde und ein verfehltes Leben führte. Sie besaß intellektuelle Fähigkeiten, die es ihr erlaubt hätten, aus sich zu machen, was sie nur wollte, aber aufgrund ihrer gesellschaftlichen Konditionierung ließ sie es sich gefallen, in eine Rolle gepresst zu werden, für die sie nicht geeignet war, die der Ehefrau und Mutter. Im Grunde ist es tragisch. Fast ihr ganzes Leben lang lag sie im Krieg mit sich selbst und hat dar über ihre Tochter und ihre Enkelin zu seelischen Krüppeln gemacht. Sie konnte es nicht ertragen, dass sie erfolgreich rebellierten, während ihr das nicht gelungen war.«
»Hat sie Ihnen das alles erzählt?«
»Nicht direkt. Ich entnahm es Dingen, die sie mir sagte, und habe es dann in das Porträt einfließen lassen. Aber es ist alles wahr. Sie wollte von mir eine vollständige Erklärung des Bilds, bis zur letzten Farbnuance und zum letzten Pinselstrich, und die habe ich ihr gegeben. Sie entsprach etwa dem, was ich Ihnen gerade erläutert habe, und am Ende sagte sie, es sei nur eines falsch daran, und es sei falsch, weil es fehle.«
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