Die Schandmaske
sagte er mit Entschiedenheit.
»Aber ich kann sie hören. Sie schluchzt zum Gotterbarmen.«
»Es geht uns nichts an.«
»Ja, aber ich muss dauernd denken, wenn wir was getan hätten, als wir Mathilda weinen hörten, dann wäre sie vielleicht noch am Leben. Das setzt mir wirklich furchtbar zu, Duncan.«
Er seufzte. »Ich lehne es ab, mich mit Schuldgefühlen zu belasten, weil Mathildas Grausamkeiten gegen ihre Tochter und ihre Enkelin, ob nun real oder eingebildet, eine von beiden dazu provoziert hat, sie zu töten. Wir hätten damals nichts tun können, um es zu verhindern, und wir können jetzt, wie du mir dauernd vorhältst, nichts tun, um sie zurückzuholen. Wir haben die Polizei auf ein mögliches Motiv hingewiesen. Ich denke, wir sollten es dabei belassen.«
»Aber Duncan«, jammerte Violet, »wenn wir wissen, dass es Joanna oder Ruth war, dann müssen wir das der Polizei sagen.«
Er sch üttelte den Kopf. »Mach dich nicht lächerlich, Violet. Wir wissen nicht, wer es getan hat, und, offen gesagt, es interessiert uns auch nicht. Logischerweise muss es jemand gewesen sein, der einen Schlüssel hatte, und das weiß die Polizei auch, ohne dass ich es ihr sage. Warum drängst du mich dauernd, mich einzumischen? Das ist ja fast, als wolltest du, dass Joanna und Ruth verhaftet werden.«
»Nicht beide. Sie haben es doch nicht gemeinsam getan, oder?« Sie schnitt eine Grimasse, die ihr Gesicht zur Karikatur verunstaltete. »Aber Joanna weint eben schon wieder, und ich finde, wir sollten was tun. Mathilda hat immer gesagt, das Haus sei voller Gespenster. Vielleicht geht sie um.«
Duncan starrte sie mit unverhohlener Best ürzung an. »Du bist doch nicht etwa krank?«
»Natürlich bin ich nicht krank«, gab sie ärgerlich zurück. »Aber ich glaube, ich geh jetzt mal rüber und schau nach ihr. Man kann ja nie wissen, vielleicht vertraut sie sich mir an.« Mit einem schelmischen Winken huschte sie wieder hinaus, und kurz darauf hörte er, wie die Haustür geöffnet wurde.
Duncan sch üttelte verständnislos den Kopf und machte sich wieder über sein Kreuzwortr ätsel. Waren das vielleicht die Anfänge der Senilität? Violet war entweder sehr mutig oder sehr töricht, sich um eine emotional gestörte Frau zu kümmern, die ganz unverkennbar ihre Mutter auf den Tod gehasst hatte. Er konnte sich nur vorstellen, wie Joanna auf die naiven Versicherungen seiner Frau, dass sie mehr wisse, als sie der Polizei gesagt hatte, reagieren würde. Der Gedanke beunruhigte ihn immerhin soweit, dass er sein warmes Bett verließ und in seine Hausschuhe schlüpfte, um ihr die Treppe hinunter zu folgen.
Doch was immer Joanna Lascelles so gro ßen Kummer gemacht hatte, sollte den Orloffs an diesem Abend ein Rätsel bleiben. Auf Violets wiederholtes Läuten öffnete sie nicht, und erst am Sonntag in der Kirche hörten sie gerüchtweise, dass Jack Blakeney zu seiner Frau zurückgekehrt sei und Ruth sich so heftig vor ihrer Mutter und der Rückkehr ins Cedar House fürchte, dass sie bei den Blakeneys untergekrochen war. Aus Southcliffe, hieß es, habe man sie wegen des Skandals, der in Kürze um die Familie Lascelles losbrechen würde, ausgeschlossen. Der Klatsch blühte, und aller Verdacht richtete sich diesmal auf Joanna.
Wenn Cooper ehrlich war, konnte er verstehen, warum Dave Hughes auf beh ütete höhere Töchterchen so anziehend wirkte. Er war ein sympathisch wirkender junger Mann vom Typ »Naturbursche«, groß, gut aussehend, mit schulterlangem dunklen Haar, blitzblauen Augen und einem gewinnenden Lächeln. Nicht im geringsten bedrohlich, dachte man auf den ersten Blick, und erst allmählich zeigten sich in der beengenden Atmosphäre eines Vernehmungsraums der Polizeidienststelle Bournemouth die Zähne hinter dem Lächeln. Was man zu sehen bekam, erkannte Cooper, war eine sehr professionelle Verpackung. Was sich darunter verbarg, blieb abzuwarten.
Chief Inspector Charlie Jones geh örte auch zu denen, bei denen sich das wahre Gesicht hinter einer täuschenden Verpackung versteckte. Es erheiterte Cooper zu sehen, wie sehr Hughes den Mann mit dem traurigen Pekinesengesicht, der ihn so milde und bedauernd betrachtete, unterschätzte. Charlie Jones setzte sich Hughes am Tisch gegenüber und kramte ziemlich hilflos in seiner Aktentasche.
»Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind«, sagte er. »Ich weiß, Zeit ist Geld. Wir wissen Ihre Hilfsbereitschaft zu schätzen, Mr. Hughes.«
Hughes zuckte liebensw ürdig die Achseln. »Wenn
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