Die Schanz
Daniel?», fragte Toppe. «Ich weiß, dass Norbert ihn einladen wollte.»
Daniel Baldwin war Lowenstijns rechte Hand, sein Mädchen für alles. Er selbst bestand allerdings auf der korrekten Berufsbezeichnung «Butler», denn er hatte eine der besten Butlerschulen Englands absolviert.
Wim Lowenstijn lachte herzhaft. «Du kennst ihn doch! Er hat es näselnd abgelehnt, sich mit seinem ‹Herrn›, wie er sich auszudrücken beliebte, auf eine Stufe zu stellen, und mir stattdessen eine feine Karte und sechs Waterfordgläser für das Brautpaar mitgegeben. Stopp, halt! Bitte entschuldige mich, aber das Objekt meiner Begierde wird gerade frei.»
Toppe griente nachsichtig. Seit Jahr und Tag flirtete Lowenstijn ganz offen mit Astrid. Früher war er eifersüchtig gewesen – Lowenstijn war nicht nur steinreich, sondern auch ausgesprochen attraktiv –, hatte aber irgendwann erkannt, dass alles offenbar nur ein harmloses Spiel war. Es erstaunte ihn, dass er dennoch, nach all dieser Zeit, wieder einen leichten Stich verspürte, und war ganz froh, dass Bonhoeffer zurückkam und ihn in ein Gespräch über den Park von «Haus Wurt» verwickelte, den sie gemeinsam umgestalten wollten, wenn der Frühling kam. Als er sich einige Zeit später auf die Suche nach der Toilette machte, war er angenehm beschwipst.
An der Theke stand Ackermann, kippte einen Klaren und klopfte einem Einheimischen kräftig auf die Schulter. «Ach komm, Franz, ich weiß et noch wie heut. Jedes Ma’, wenn ihr Schänzer verloren hattet, habt er die Fähre auffe andere Seite gezogen un’ uns Kranenburger Kicker mit de Mistforke innen Altrhein gejagt. Un’ wir durften dann schwimmen un’ konnten kucken, wie wer nach Hause kamen.»
«Dat stimmt doch gar nich’. Keine Ahnung, warum der Quatsch immer noch rumerzählt wird.» Der angesprochene Franz wieherte. «Wir sind bloß mit euch zusammen baden gegangen nach dem Spiel, als Erfrischung.»
«Baden gegangen!» Ackermann brüllte vor Lachen. «Ich krieg mich nicht mehr ein!»
Dann entdeckte er Toppe. «Ham Se ’t schon gehört, Chef? Na’ Hause kommen wird kompliziert. Die ham die Fähre stillgelegt. Dat Wasser steht zu hoch. Un’ et schüttet auch wieder, dat et ’ne wahre Pracht is’. Wollen Se auch ’n Kurzen? Geht auf meine Rechnung, is’ doch klar.»
Toppe winkte ab. «Ich halte mich an Rotwein. Ist der Deich denn wenigstens noch befahrbar, oder sind wir hier endgültig gestrandet?»
«Klaro, keine Sorge. Da brauchet schon andere Kaliber, dat der dichtgemacht wird.»
«Dat kommt nich’ so hoch», brummte Franz. «Dies’ Jahr nich’.»
Ackermann deutete Toppes umherschweifenden Blick richtig. «Müssen Se mal für kleine Männer? Da vorne de Ecke rum. Tja, Franz, nix für ungut, aber ich glaub’, ich muss noch ’n bisken abhotten gehen. Ich hab ja schon immer gern getanzt.»
Sechs
Für Toppe, Astrid und Cox begann die Woche mit zäher Routine.
Stunde um Stunde arbeiteten sie sich durch Vermisstenmeldungen aus dem ganzen Bundesgebiet und den Niederlanden, telefonierten mit anderen Dienststellen, aber ihre Mühe wurde nicht belohnt.
Am Dienstag brachte van Gemmern ihnen eine Aufstellung aller Revolver, die die gleichen Projektile verschossen wie jenes, das er im Häcksler gefunden hatte, allesamt Sportwaffen: Colt Python, Colt Trooper, Colt Border Patrol mit dem Kaliber .357 Magnum, dann der so genannte Peacemaker mit seinem besonders langen Lauf, den man aus alten Western kannte, und schließlich zwei Colts mit .38er Spezial-Kaliber, der Diamond back und der Detective special.
Während Astrid sich weiter mit den Vermisstenmeldungen herumschlug, gingen Toppe und Cox hinunter ins Archiv und nahmen sich die Waffenbesitzkarten aller Sportschützen und Jäger im Kreis Kleve vor.
Toppe wurde immer stiller. Er hatte das sichere Gefühl, etwas Wichtiges übersehen zu haben, und zermarterte sich das Hirn. Auch Cox sprach wenig und wirkte ungewohnt bedrückt.
Es gab mehr als dreißig Personen, die einen der gesuchten Revolver besaßen, die meisten von ihnen einen Colt Python.
Im beständig strömenden, eiskalten Regen klapperten sie die Leute ab und sammelten die Waffen ein, wurden mürbe von den ewig gleichen Sätzen, mit denen sie ihr Anliegen erklärten. Viele der Schützen trafen sie erst nach Feierabend an, und so war es schon nach zehn, als sie ins Präsidium zurückkehrten. Keiner von beiden war überrascht, van Gemmern in der Halle vorzufinden, wo er immer noch mit stoischer Ruhe
Weitere Kostenlose Bücher