Die Schanz
ernst. «Meinste, ich muss dat Erdgeschoss zu Hause leer räumen? Soll ich alles na’ oben bringen?»
«Das reicht dann auch nicht mehr.» Der Mann wischte sich durchs nasse Gesicht. «Das Wasser ist bis knapp einen Meter unterm Schanzer Tor gestiegen. Aber seit ein paar Stunden steht es wieder, weiß der Geier, warum.»
Sie passierten die Notbrücke, rauschten durch Wasser.
«Ganz geheuer scheint es den glorreichen Männern der Schanz aber auch nicht zu sein», sagte Toppe. «Sie haben eine Wache auf der Mauer.»
Ackermann bestand darauf, sein Auto innerhalb der Festung abzustellen. «Dat wird mir doch ’n bisken feucht auffem Parkplatz.»
Die beiden Beamten, die im Streifenwagen vor Rose Wetterborns Haus Wache hielten, waren müde und hatten sich offensichtlich schon eine Weile gegenseitig aufgestachelt. Bevor sie sich auf den Heimweg machten, moserten sie über das sinnlose Herumhängen, die zu späte Ablösung und das Kaff, in dem man noch nicht einmal einen Kaffee bekam.
Sie würden wieder durchs Fenster einsteigen müssen, Toppes Nacken kribbelte.
«Herr Toppe?» Klaus Voss war von irgendwoher aufgetaucht.
«Nicht jetzt, Voss», bellte Toppe, ohne sich auch nur umzudrehen. «Jetzt nicht, bitte!»
Bei Tageslicht erkannte er die Veränderung in der Küche, wusste, was ihn gestern Abend gestört hatte: Die teure italienische Espressomaschine war nicht mehr da. Sie stand, ordentlich verpackt, im Flur.
«Würdest du deine Espressomaschine mitnehmen, wenn du verreist?», fragte er Ackermann, aber der war schon im angrenzenden Zimmer und schaute sich um. Bücherregale aus Buchenholz, halb montiert, sonst nichts, nackter Estrich auf dem Boden.
«Die hat ja ga’ keine Möbel!»
Im Bad waren die Kacheln abgeschlagen, Putzbrocken lagen zusammengefegt in der Ecke, Wanne, Klo, Waschbecken und Spiegel blinkten neu. Auf der Ablage ein Kulturbeutel aus Brokatstoff: Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Hautcreme, Lippenpomade, eine Nagelschere, eine Pinzette, eine Schachtel Tampons, Haarbürste, Shampoo, Körperpuder, Intimwaschlotion, im Seitenfach ein Tütchen aus Seidenpapier mit einer rotblonden Haarlocke und eine kleine Holzschachtel mit Schiebedeckel, in der drei Milchzähne lagen.
«Eine Frau», hörte Toppe Bonhoeffers Stimme, «und sie hat geboren.»
Die ersten zwei Zimmer oben waren leer, groß gemusterte Tapeten in Gold und Orange hingen in Fetzen, beigefarbener, klammer Nadelfilzboden. Dann das Schlafzimmer, das sie gestern schon entdeckt hatten. Die große Handtasche aus weinrotem Leder, die, halb ausgekippt, hinter der Tür lag, hatten sie allerdings übersehen.
Toppe fischte Handschuhe aus der Jacke und ging in die Hocke, während Ackermann sich dem kleinen Koffer auf der Matratze widmete.
Eine Brieftasche, ein Pass. Toppe spürte, wie ihm alles Blut aus dem Kopf wich. «Rose Helene Milovanović, geborene Wetterborn».
«Helmut», keuchte Ackermann, «ich hab hier wat … ein Brief!»
Sie schauten sich an, jeder ein Stück Papier in der Hand.
Ackermann griff als Erster zu, nahm den Pass. «Sie is’ die Frau von dem Journalist, den Bouma … Gott, ich glaub’ et nich’ … hier!» Er streckte Toppe den Brief hin.
Der erkannte nur ein paar Namen. «Das ist Holländisch.»
«Ja.» Ackermann hatte steife Lippen. «Is’ von einem, der unter Bouma gedient hat in Bosnien. Da steht datselbe drin, wat dieser Rijnder Astrid erzählt hat, so ziemlich je’nfalls. Mein Gott, Chef …»
Toppe schüttelte die Brieftasche aus – Fotos: Rose Wetterborn im Minirock, die Arme um einen großen Mann mit rotbraunem Haar geschlungen, strahlend gleißender Sonnenschein; Rose Wetterborn, eine junge Rose, einen Säugling stillend, den Blick nach innen gewandt, selig; Rose Wetterborn, das linke Bein in Gips, auf einer Gehstütze balancierend, mit der anderen drohte sie spaßeshalber dem Jungen, vierzehn, fünfzehn Jahre alt, der offenbar versuchte, sie zu kitzeln; Rose Wetterborn vor dunklem Hintergrund, an ihren Mann geschmiegt, vor ihnen die jüngere Ausgabe des Vaters mit ernstem, wichtigem Blick, eine Studioaufnahme.
Ackermann hatte sich hinter Toppe gekniet und betrachtete die Fotografien. «Ich könnt’ heulen.»
«Was ist sonst noch in dem Koffer?», fragte Toppe leise.
Sie fanden ein Familienstammbuch – Mirko Milovanović war am 11. Juni 1995 siebzehn Jahre alt geworden, ein paar Wochen bevor er mit seinem Vater nach Srebrenica gegangen war. Die Familie hatte eine Wohnung in Graz und
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