Die scharlachrote Spionin
charmanter. »Sally Jersey ist die unangefochtene Königin der Londoner Gesellschaft. Viele halten sie für kalt und hochnäsig, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass sie für einen guten Witz immer zu haben ist ... genauso, wie sie auch sehr gern ein Schwätzchen hält. Was übrigens auch ihren Spitznamen erklärt, Silence. Schweigen.«
»Ich habe auch eine Einladung«, fuhr der Marquis fort, »ich hatte vor, Lady Sofia mitzunehmen. Und ich dachte, es wäre doch die perfekte Gelegenheit, wenn Sie anfingen, sie in der Gesellschaft vorzustellen.«
»In der Tat. Die sechs anderen Gönnerinnen des Almack's werden garantiert auch dort sein.« Wieder warf Osborne ihr ein blitzendes Lächeln zu. »Als selbst ernannte Hüterinnen von Sitte und Anstand sind sie eine Macht, mit der man zu rechnen hat. Der Umgang mit Lady Sefton ist am angenehmsten, während Mrs. Drummond-Burrell ...«
Sofias Miene musste ihr Missbehagen verraten haben, denn Osborne unterbrach sich mit einem Lachen. »Ich werde Sie nicht mit solch bedeutungslosen Beschreibungen behelligen. Schon bald werden Sie all den Namen auch Gesichter zuordnen können, denn auf Lady Jerseys Geselligkeiten herrscht immer ein großer Andrang.«
»Das klingt tatsächlich ein wenig einschüchternd. Denn ich lebe eigentlich recht zurückgezogen.«
»Ah, aber jetzt, wo Sie hier in London sind, wäre es eine Schande, wenn Sie sich der Fülle der Erfahrungen verweigern würden, die die Stadt Ihnen bietet.« Die goldfarbenen Wimpern verliehen seinem Blick ein engelsgleiches Aussehen - eine Tatsache, der er sich nur zu bewusst zu sein schien, denn er blinzelte, bevor er fortfuhr. »Und wenn ich ein wenig selbstsüchtig sein darf, ich hielte es für ausgesprochen unfair, wenn Sie es vorziehen würden, uns Ihrer wundervollen Gesellschaft zu berauben.«
Irgendetwas in seinem Blick provozierte Sofia zu einer scharfen Erwiderung. »Flirten Sie immer so heftig, wenn Sie einer Frau gegenüberstehen, Lord Osborne?«
Seine wohlgeformten Brauen zogen sich amüsiert zusammen. »Ich fürchte, ja. Aber ich versichere Ihnen, dass ich ziemlich harmlos bin.«
Das entsprach nicht der Beschreibung, die ihr durch den Kopf geschossen war. Gefährlich. Sofia konnte sich nicht erklären, warum ihre Haut plötzlich kribbelte, als sie sich Tee eingoss. Als würden der aufsteigende Dampf ihr eine Warnung zuflüstern ...
Umstandslos verscheuchte Lynsley ihre Gefühle, als er weitersprach. »Oh, in der Tat, ich verbürge mich dafür, dass Lord Osborne den Ruf eines tadellosen Gentlemans genießt.«
»Wenn ich verspreche, mich zu benehmen, darf ich dann mit der Erlaubnis rechnen, Sie später am Nachmittag zu einer Ausfahrt in den Park mitzunehmen?« Sein Blick ruhte auf dem Marquis anstatt auf ihr. »Es kann nicht schaden, ein wenig die Neugier der Leute zu kitzeln, wer diese wundervolle Unbekannte wohl sein mag.« Er goss sich einen Spritzer Sahne in den Tee. »Sie wissen doch, wie sehr die Gesellschaft den Tratsch liebt. Im Ballsaal wird es summen und brummen vor Gerüchten, und jeder wird darauf brennen, die Bekanntschaft der Contessa zu machen.«
»Ein ausgezeichneter Vorschlag.« Lynsley räusperte sich. »Fühlen Sie sich den Anstrengungen eines solch langen Tages gewachsen, Lady Sofia?«
Sie nippte zaghaft an ihrem Oolong, bevor sie antwortete. »Oh, ich versichere Ihnen, Sir, ich bin kräftiger, als ich scheine.«
»Dann darf ich Sie ein wenig später nochmals aufsuchen?«, fragte Osborne. »Fünf Uhr ist die angemessene Zeit für eine Spazierfahrt im Park.«
»Ich werde Sie erwarten, Sir.«
»Ausgezeichnet! Dann hole ich Sie ab.« Osborne trank seinen Tee aus und erhob sich. »Aber jetzt muss ich gehen. Ich glaube, Sie möchten sich noch ein wenig allein unterhalten, um sich über die Neuigkeiten auszutauschen.«
Sofia wartete, bis er das Zimmer verlassen hatte, und atmete geräuschvoll aus. »Es mag sein, dass ich es mit dem Akzent übertrieben habe, Sir. Das nächste Mal bin ich schon besser.« Der erste Auftritt in ihrer neuen Rolle wäre unter anderen Umständen schon eine echte Herausforderung gewesen, aber Lynsley als Publikum erhöhte den Druck noch zusätzlich.
»Sie haben Ihre Sache sehr gut gemacht, Sofia!« Der Marquis warf ihr ein väterliches Lächeln zu. »Ich möchte Ihnen nur raten, sich zu entspannen und größeres Vertrauen in sich selbst zu setzen.«
»Ja, Sir.« Sie versuchte, ein wenig ironisch zu klingen. »Ich vermute, es ist mir eine Hilfe, dass ich
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