Die scharlachrote Spionin
zu warnen ... Dieser Ruf scheint mir maßlos untertrieben.«
»Hingegen scheint es keine Worte zu geben, mit denen man die Schönheit italienischer Frauen übertreiben könnte«, erwiderte Osborne. Kein Wunder, dass Lord Osborne zu den Lieblingen der Salons zählte! So stand es zumindest in Lynsleys Akte. Sofia ließ ein Lächeln über ihre Lippen spielen und neigte den Kopf, sodass sie seinem Blick begegnete.
Sie entdeckte zwei strahlend wasserblaue Augen, die Farbe so klar und so kühl wie der gemalte Ozean hinter ihnen. Das weiche Licht, das durch die großen Scheiben ins Innere drang, schien die schimmernde Wärme noch zu verstärken. Und doch, unter der Oberfläche funkelten Andeutungen einer verblüffenden Tiefe, einer Eindringlichkeit, die dunkler war, als der Anschein seines sonnigen Gemüts es vermuten ließ.
Urplötzlich schauderte sie und wandte den Blick ab.
»Sind alle Ihre Freunde so umwerfend, Lynsley?« Sofia berührte den Marquis am Ärmel. »Ich gestehe, dass es mich ungemein nervös gemacht hat, in die englische Gesellschaft eingeführt zu werden ...«
»Es macht Sie nervös?«, murmelte Osborne, »das ist bestimmt nicht nötig.«
»Stimmt, meine Liebe! Mir will nichts einfallen, worüber Sie sich den Kopf zerbrechen müssten«, versicherte Lynsley.
»Aber es gibt noch so viele englische Sitten und Gebräuche, von denen ich keine Ahnung habe«, entgegnete Sofia, »manchmal weiß ich einfach nicht, wie man die Dinge handhabt.«
»Ich bin mir sicher, dass die Gebräuche nicht viel anders sind als die, die Sie bereits kennen«, antwortete Osborne.
Ha!
Sofia gestattete sich ein leichtes Zucken der Mundwinkel. »Oh, ich fürchte, es gibt noch allerlei, woran ich mich gewöhnen muss.« Sie griff nach dem silbernen Glöckchen auf dem Schreibtisch und klingelte nach einem Diener. »Angefangen damit, dass man jedem Besuch Tee und Kuchen anbietet. Das ist doch richtig, nicht wahr, Lynsley?«
»Korrekt, meine Liebe.« Der Marquis lächelte.
»Da haben Sie es! Ich bin bereits unhöflich gewesen.« Es war einfacher, als sie angenommen hatte, ein wenig nervös zu wirken. »Bitte nehmen Sie doch auf dem Sofa Platz, Gentlemen.«
Würdevoll überquerte Osborne den Teppich. Er bewegte sich so schlank und geschmeidig wie eine Katze, hatte eine schmale Taille und lange Beine - auf den ersten Blick beileibe keine überwältigende Erscheinung. Aber Sofia bildete sich ein, dass der Mangel an beeindruckenden Muskelpaketen und breiten Schultern nicht das war, was die meisten Leute zuerst an Lord Deverill Osborne bemerkten.
Das Gesicht, umrahmt von kunstvoll fallenden, langen blonden Haaren, sah aus wie ein Bildnis klassischer männlicher Schönheit. Die zartgliedrigen Züge, gemeißelt wie aus weichem Carrara-Marmor, besaßen eine perfekte Symmetrie - große ovale Augen, wohlgeformte Wangenknochen, eine gerade Nase. Der schön geschwungene Mund hätte durchaus weiblich wirken können, wenn sich in den Kurven nicht auch eine gewisse Härte andeuten würde.
Hart und weich. Ein Mann voller Gegensätze und Widersprüche.
Kein Wunder, dass die Frauen ihn faszinierend fanden.
Sofia zwang ihren Blick fort, war überrascht, als sie die schwache Hitze auf ihren Wangen bemerkte.
»Ich hoffe, Sie halten mich nicht für aufdringlich, Contessa, aber ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen ein Willkommensgeschenk mitzubringen.« Osborne ging am Sofa vorbei und nahm ein kleines Paket aus dem Regal. »Eigentlich ist es einer Lady nicht gestattet, Geschenke von einem fremden Gentleman anzunehmen, aber in diesem Fall hoffe ich darauf, dass wir die ungeschriebenen Gesetze missachten dürfen.«
Sofia zögerte, sah aber, wie Lynsley nickte, und wickelte das Geschenkpapier von dem Buch. »Ein Führer durch London und seine Sehenswürdigkeiten.« Laut las sie den Titel, der auf den Umschlag geprägt war. »Wirklich sehr aufmerksam, Lord Osborne, vielen Dank!«
»Ich hoffe, dass Sie mir gestatten werden, mit Ihnen zahlreiche Sehenswürdigkeiten zu besichtigen«, erwiderte er lächelnd, »obwohl ich überzeugt bin, schon bald nicht mehr über das Privileg zu verfügen, Sie begleiten zu dürfen.«
»Wo wir gerade darüber sprechen ...«, der Marquis wartete, bis das Serviermädchen das Teetablett abgestellt hatte, bevor er fortfuhr, »... haben Sie vor, heute Abend zu Lady Jerseys Ball zu gehen, Osborne?«
»Silence würde es mir nie verzeihen, wenn ich nicht hinginge.« Osborne wandte sich an Sofia und lächelte noch
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