Die scharlachrote Spionin
hielt die Dehnung ein paar Sekunden länger, atmete dann aus und ließ sich entspannt auf der Leinenmatte nieder. Es bestand kein Zweifel daran, dass er skrupellos sein konnte. Hoffentlich würde die Entdeckung des Schlüssels und das nächste Treffen ihr den Weg zur Wahrheit weisen ...
Es klopfte sanft an der Tür, bevor eine ebenso sanfte Stimme sagte: »Ein Conte della Ghiradelli möchte Sie sehen, Mylady. Er besteht darauf, dass Sie sich trotz der frühen Stunde nicht gestört fühlen.«
Sofia erhob sich und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Bitte führen Sie ihn herein, Rose«, murmelte sie, schloss rasch auf und fing den fragenden Blick der Zofe auf, die auf ihr kurzes Baumwollhemd und die zusammengebundene Hose schaute. »Es ist alles in Ordnung. Er ist ein zuverlässiges Mitglied von Lord Lynsleys Netzwerk.«
Marco erweckte nicht den Eindruck, als hätte die Party ihn krank gemacht. »Ciao, bella! Wie ich sehe, achtest du darauf, in Form zu bleiben.« Er hob eine der dünnen Keulen auf und vollführte ein paar Hiebe durch die Luft. »Lust auf einen kleinen Schlagabtausch?« Betont zog er die Brauen hoch. »Der Sieger bekommt alles.«
Sofia schnaubte. »Ich bin nicht in der Stimmung für Spielchen, wenn es dir nichts ausmacht.« Als sie genauer hinschaute, entdeckte sie, dass sein Gesicht nicht ganz so frisch aussah, wie sie zu Anfang geglaubt hatte. Unter den dunklen Wimpern lugten Augen hervor, die vor Schlaflosigkeit noch gerötet waren, und sein schelmisches Lächeln wirkte ein wenig angegriffen. »Nun, sieht so aus, als hättest du dich letzte Nacht schwer ins Zeug gelegt.«
Er zuckte die Schultern. »Ich bin kein Engel.«
Sofia stellte fest, dass sie über sein vergangenes Leben so gut wie nichts wusste, über seine Enttäuschungen, seine Sehnsüchte. Welches Verlangen trieb einen Mann, der mit komfortablen Privilegien ausgestattet war, sich und seine Klinge zu verkaufen?
»Ist da vielleicht noch verschmierter Lippenstift auf meinem Kinn?« Er strich sich über die dunklen Stoppeln, die seine Wangen überschatteten, und starrte sie übertrieben an. Aber das Geplänkel klang ein wenig angespannt. »Ich habe mich mit Sforza und Familligi in der Spielhölle nahe der Jermyn Street getroffen. Die Barmädchen stammen alle aus Schweden.«
»Marco, leg dich schlafen!«
»Mit dir, bella?« Theatralisch presste er sich die Handflächen an die Brust. »Sei still, mein flatterndes Herz!«
»Sei still, du zwitschernde Zunge!« Sofia ergriff seinen Arm und zog ihn zur Tür. »Lass uns im Arbeitszimmer Platz nehmen. Ich werde Rose bitten, uns Tee und Toast zu servieren.«
Seufzend legte er die Rolle des schlüpfrigen Possenreißers ab. »Grazie. Kaffee wäre mir noch willkommener als Sex.«
»Dann darf ich annehmen, dass es sich nicht um einen reinen Höflichkeitsbesuch handelt?«, fuhr sie fort, nachdem sie bei Rose Getränke geordert hatte.
»So sehr ich mich danach gesehnt habe, dich wiederzusehen, du hast richtig geraten.« Marco ließ sich in den Lederstuhl am Kamin sinken und stemmte die Stiefel auf den Rost. »Als ich heute früh nach Hause kam, wartete bereits eine Nachricht von Lynsley auf mich. Ich komme gerade von einem Treffen mit ihm ... obwohl er vielleicht so gnädig hätte sein sollen, ein bequemeres Plätzchen auszusuchen als eine unauffällige Kutsche, die über die ausgefahrenen Nebenspuren im Regent Park rattert.«
Sofia spürte, wie ihr Rückgrat sich versteifte, als sie sich mit einem Arm auf den Stuhl ihr gegenüber stützte. »Ich nehme an, dass der Marquis mehr im Sinn hatte als nur dein körperliches Wohlergehen.«
Ein Grinsen hing in seinen Mundwinkeln, bis Marco plötzlich tödlich ernst wurde. »Wieder korrekt, bella! Eine Schaluppe, die aus Bombay unterwegs ist, hat gestern Abend an der Isle of Dogs festgemacht. Der Kurier hat eine Nachricht von der East India Company überbracht: Einer der hohen Beamten, ein Mann, der für den Handel mit den mogulischen Prinzen zuständig war, wurde in seinem Haus ermordet aufgefunden.« Er hielt inne, als Rose mit dem Kaffee eintrat, und nahm dankbar eine Tasse entgegen.
Sofia schüttelte den Kopf. Ihre Kehle fühlte sich plötzlich an wie zugeschnürt.
Marco trank einen langen Schluck Kaffee, bevor er fortfuhr. »Zusammen mit der offiziellen Meldung traf ein vertraulicher Bericht der Verwalterin ein. Sie ist für die Residenz der Handelsgesellschaft verantwortlich - ein früherer Merlin ... In diesem Bericht wurde erwähnt,
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