Die Schatten der Vergangenheit
sich in mir die Hoffnung, dass mein Wunschtraum, wenigstens einer würde mich einmal an die erste Stelle setzen, doch noch wahr würde. Dass ich jemanden an meiner Seite hätte, der mich nie enttäuschen würde.
Ich hatte gedacht, dieser Jemand sei Asher, aber was hatte ihm die Liebe zu mir eingebracht? Außer Schmerzen und schließlich den Tod? Meine Gabe würde mir nie gestatten, normal zu sein. Immer wieder würden andere durch mich zu Schaden kommen. Ich verdiente es, allein zu sein.
Gabriel drückte mich fester an sich. »Du bist nicht allein, Remy.«
Das sagte er bloß, um nett zu sein. Schließlich aber würde er zu denen zurückkehren, die von seiner Familie übrig geblieben waren. Und wenn er das nicht von allein tat, dann musste ich Mittel und Wege finden, ihn dazu zu bringen. Ich würde …
Ich erstarrte. »Was hast du gesagt?«
Gabriel wandte das Gesicht ab, aber ich hatte bereits seinen resignierten Blick erhascht.
»Gabriel?«, hakte ich nach.
Wir erreichten einen Wanderweg. Daneben hatte jemand aus umgestürzten Baumstämmen eine Bank gebaut. Gabriel, der mich noch immer sicher in seinen Armen hielt, setzte sich darauf. Er hielt mich fast schon zu fest, als hätte er Angst, ich würde ihm sonst davonrennen. Ich wartete.
Er schluckte. »Ich sagte, du bist nicht allein.«
Ich hatte die schlimmste Art von Déjà-vu. Das konnte nicht sein. Unmöglich. Nicht zwei Mal. Nicht nach Asher. Nein, und noch mal nein!
Gabriel wollte mich nicht ansehen. Ich hätte sein Kinn zu mir gedreht, um in seinem Gesicht die Wahrheit lesen zu können, aber meine Arme steckten fest unter der Decke. Am liebsten hätte ich mein Entsetzen laut herausgeschrien.
Schmerzlich berührt, zuckte Gabriel zusammen.
Schaudernd begriff ich, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Und dabeikonnte ich in meinem geschwächten Zustand nicht einmal meine Abwehr hochfahren, um Gabriel auszusperren. Meine Nerven lagen blank, und ich fühlte mich über alle Maßen bloßgestellt. Ich stöhnte auf und Gabriel drückte mich wie zum Trost fester an sich.
»Wie lange?«, krächzte ich. »Wie lange?«
Wie lange sind wir schon einen Bund eingegangen? Wie lange liest du schon meine Gedanken?
»Seitdem ich dir in der Nacht im Motel dabei geholfen habe, dich zu heilen.«
Ich brach in hemmungsloses Schluchzen aus. Dass Asher und ich einen Bund eingegangen waren, hatte ich immer für etwas Einzigartiges gehalten. Nicht, dass wir die einzige Heilerin und der einzige Beschützer waren, die das getan hatten, aber ich hatte immer gedacht, es geschähe nur einmal, und meine Fähigkeit, einen Bund einzugehen, wäre mit Asher gestorben. Selbst Asher hatte gemeint, unsere Verbindung unterscheide sich von jeder, von der er gehört habe. Dadurch etwa, dass er meine Gedanken lesen und ich ihn von seiner Unsterblichkeit heilen könne. Ich hatte es gehasst, dass er in meinen Kopf schauen konnte, aber ich hatte mich damit arrangiert, weil ich ihn liebte. Und nach einer Weile hatte ich akzeptiert, dass es während eines Kampfes von Vorteil sein konnte. Schließlich sogar gedacht, unsere Gefühle füreinander würden dadurch noch inniger. Aber ein Bund mit seinem Bruder? Ich stellte mir vor, was für ein Gesicht Asher machen würde, wenn er davon erfahren würde.
Wie konnte das geschehen?
»Sprich mit mir, Remington!«
Ich presste die Lippen zusammen. Nenn mich nicht so. Tu nicht so, als hätten wir Kosenamen füreinander!
»Hey, für mich war das auch nicht gerade eine Vergnügungsreise,weißt du?« Gabriels Stimme hatte einen harten Unterton. »Direkt darum gebeten habe ich ja schließlich nicht!«
Ich schaffte es, eine Faust freizukriegen und schlug schwach nach ihm. Er riss den Kopf zurück, und mein Schlag ging ins Leere.
»Red nicht in so einem Ton mit mir!«, schrie ich. »Dabei weißt du schon … wie lange davon? Vielleicht könntest du mir einen Augenblick Zeit geben, mit dem kleinen Geheimnis klarzukommen, das du für dich behalten hast?«
Seine Mundwinkel zogen sich nach unten. »Du hast recht. Es tut mir leid.«
Wir verfielen in Schweigen. Ich hätte mich ja gern von ihm freigemacht, aber in meinem Zustand war das unmöglich. Wieder kamen mir die Tränen.
Reiß dich zusammen, Remy! Wozu sind Tränen überhaupt gut? Ich rieb mir die Stirn. Oh, Asher! Wie konnte das passieren?
Gabriel schluckte. »Weißt du eigentlich, wie oft du an ihn denkst? Wie oft du Tagträume über ihn hast und dir
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