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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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wurden die Schritte leiser und verkla n gen schließlich im Treppe n haus.
    Erst jetzt wagte der Junge wieder zu atmen. Die Luft schmeckte nach Rauch, und der Schmerz brachte sich im Rhythmus seines Pulsschlags wieder in Erinnerung.
    Stöhnend richtete sich Arif auf und spie eine Mun d voll Blut in sein Taschentuch. Wie hypnotisiert starrte er auf die zersplitterten Reste der Tür zu Djamilas Zimmer, bevor er sich auf den Weg dorthin machte. Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr, und so kroch er im Liegen weiter, wie ein verwundetes Tier, das sich mit letzter Kraft in seine Höhle schleppt.
    In seinem Herzen wußte er längst, daß Djamila nicht mehr am Leben war, und so wurden die wenigen Meter, die er bis ins Nachbarzimmer z u rückzulegen hatte, zum schwersten Weg seines Lebens. Als er schlie ß lich vor dem nackten, geschundenen Körper des Mädchens kniete, war sein G e sicht tränenüberströmt ...
     
    Danach weinte der Junge nie wieder. Nicht, als er Djamila im Schatten der großen Pappel begrub, nicht, als er ihre Kleider in Kartons packte und in einem einsamen Totenfeuer inmitten der Häuserblocks verbrannte. Als ihn Marat Bassejews Unterführer während der Ausbildung zusammenschlugen und ihm Hände und Unterarme zerstachen, biß er sich auf die Lippen, bis sie bluteten. Doch seine Augen blieben trocken.
    Jetzt aber, im blassen Licht einer fremden Sonne brach das mühsam errichtete Gebäude seiner Selbstbeherrschung plötzlich zusammen. Er verbarg sein Gesicht in den Händen und weinte seinen Schmerz heraus und die Trauer um eine Zukunft, die niemals sein würde.
    Daß der grauhaarige Mann ihn dabei sehen konnte, machte ihm nichts aus. Der Fremde hätte ihn töten und ausrauben können, als er bewußtlos war, deshalb vertraute er ihm. Er wäre gestorben, ohne Djamila um Vergebung bitten zu können.
    Erst als ihn etwas an der Schulter berührte, brachen die antrainierten Reflexe noch einmal durch. Arif fuhr herum, spreizte die Finger seiner Linken schlagbereit nach außen und brach den eingelernten Bewegungsablauf im letzten Augenblick ab. Schuldbewußt starrte er in das erschrockene Gesicht des Fremden, der ihn offenbar nur hatte trösten wollen, und verbarg sein Gesicht erneut in den Händen.
    Der Grauhaarige wartete geduldig, bis der Junge den Blick hob und deutete dann noch einmal auf das Verbandpäckchen in seiner Hand. Seine Gesten ähnelten denen eines Mannes, der gerade dabei war, einen störrischen Hund abzurichten, und gegen seinen Willen mußte Arif grinsen.
    Er nickte bestätigend und drehte den Kopf ein wenig zur Seite, damit der Fremde sich der Wunde widmen konnte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie der Mann das Mullkissen mit einer stechend riechenden Flüssigkeit tränkte und biß die Zähne zusammen.
    Der Schmerz war heftig, doch Arif zeigte keinerlei Reaktion. Als das Brennen ein wenig nachließ, brachte es sogar fertig, seine Lippen zu einem Lächeln zu verziehen.
    »Reden wir«, begann der Grauhaarige, nachdem er die Wunde verbunden und sein Werk von allen Seiten kritisch beäugt hatte.
    Der Junge schüttelte den Kopf. Er hatte nicht vor, dem Mann zu erklären, weshalb er hier war.
    »Na gut, dann verrate mir wenigstens, warum du auf die Rummdogs geschossen hast.«
    Rummdogs? Damit konnte Arif nichts anfangen, aber schließlich konnte der Fremde seine Hunde nennen, wie er wollte.
    »Sie haben mich angegriffen«, versetzte er störrisch.
    »Weil sie auf dich zu gelaufen sind?« Der Mann lachte. »Das ist ihre Art, Fremde zu begrüßen. Wir bekommen nicht oft Besuch hier draußen, mußt du wissen.«
    Der Junge spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schoß, aber wie sollte er dem Fremden erklären, daß er Angst gehabt hatte? Daß es dort, wo er herkam, richtige Wölfe gab und verwilderte Hunde, die nicht weniger gefährlich waren?
    »Es ist ja nichts passiert«, erwiderte er verlegen und senkte den Blick.
    »Nein, wenn man davon absieht, daß Maia einen neuen Vorderlauf braucht und Merope volle zwei Stunden unterwegs war, um dir ein Medpack zu besorgen. Aber was soll‘s, nehmen wir an, es war ein Mißverständnis.«
    Der Junge nickte. »Es tut mir leid.«
    »Schon gut«, der Grauhaarige winkte ab, doch seine grauen Augen blieben weiter forschend auf Arifs Gesicht gerichtet. Und dann sagte er etwas sehr Merkwürdiges: »Du willst zum schwarzen See.«
    Arif war so überrascht, daß er nickte, obwohl er sich doch vorgenommen hatte, mit niemanden darüber zu sprechen. W o her konnte der

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