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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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unterschätzt. Nach einer knappen Stunde Fußmarsch auf dem stetig ansteigenden Terrain war er so außer Atem, daß er eine Rast einlegen mußte. Er trank etwas Mineralwasser und wartete, bis sich sein Puls beruhigt hatte. Erst jetzt wurden die gewaltigen Ausmaße des Felsentors offenbar. Beeindruckend war nicht nur seine Höhe, sondern auch die Länge der beiden Gesteinsplatten, die wie der Dachstuhl eines gigantischen Kirchenschiffs erst einige hundert Meter weiter westlich an den Felswänden des Chardismassivs endeten.
    Zudem traf die Bezeichnung »Tor« nur dahingehend zu, daß es sich dabei um eine möglicherweise passierbare Öffnung handelte, die bei näherer Betrachtung jedoch eher einem Höhleneingang glich.
    Noch bevor Arif in den Schatten der Felswände eintauchte, fröstelte er. Dunkelheit quoll wie der Atem der Nacht aus dem riesigen Felsspalt und ließ keinerlei Rückschlüsse auf das dahinterliegende Areal zu.
    Der Junge hatte nie von Dantes Höllenvisionen der Divina Commedia gehört, und doch empfand er eine tiefe Beklommenheit, die seine Schritte automatisch kürzer werden ließ, bis er schließlich wenige Meter vor dem Höhleneingang stehenblieb.
    Wovor hast du eigentlich Angst? beschwerte sich der Rest Vernunft, den das dunkle Riesenmaul noch nicht verschlungen hatte. Du warst doch oft genug hier.
    Nur im Traum, antwortete die Angst, und an das Tor kann ich mich kaum erinnern.
    Denk an Djamila, flüsterte die andere Stimme beschwörend. Du stehst in ihrer Schuld!
    Die Bilder aus Arifs Träumen wurden lebendig und verdrängten die Furcht vor den Dämonen der Nacht, die seinen Schritt gehemmt hatte. Langsam, beinahe wie in Trance, lief der Junge auf das Tor zu.
    Unmittelbar vor dem Eingang blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen. Er hatte etwas gesehen. Seine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, und so hatte er das hauchzarte Netz, das die gesamte Fläche des Tores ausfüllte, im letzten Augenblick bemerkt. Eigentlich war es kein Netz, sondern ein Gespinst aus feinsten Lichtstrahlen – kaum mehr als ein Glimmen.
    Aber Arif war gewarnt.
    »Tor der Schmerzen«. So hatte der Fremde den Z u gang zum Cañon doch genannt?
    Der Junge hatte ihm zwar nicht geglaubt, aber jetzt war er nicht mehr so sicher. Vorsichtig streckte er seine Hand in Richtung des fluoreszierenden Netzes aus und fuhr mit einem Aufschrei zurück. Der Schmerz war so heftig, als hätte er eine glühende Herdplatte berührt. Erschrocken betrachtete Arif seine Fingerspitzen, fand aber keine Spuren einer Verbrennung, nicht einmal einen roten Fleck.
    Wie konnte das sein?
    Der Junge wußte es nicht, er wußte nur, daß der Schmerz stärker war als seine Willenskraft. So würde er das Tor nie passieren können. Ratlos trat er einige Schritte zurück und hielt nach einer Lücke in dem silbrigen Gespinst Ausschau – vergebens. Das Netz war überall.
    War alles umsonst gewesen?
    Arif wollte es nicht wahrhaben. Erst als er in einer Reflexbewegung den Sitz seines Gepäcks überprüfte, fiel ihm etwas ein: Die Granaten!
    Er nahm einen der erdfarbenen Zylinder aus dem Rucksack, stellte den Zähler ein und legte ihn vorsichtig vor dem Höhleneingang ab. Erst jetzt gab er den Sicherungsknopf frei und begann zu laufen. In Gedanken zählte er die Sekunden, bis er bei »neun« angelangt war, und ließ sich dann fallen.
    Es gab keine Explosion, nur ein bösartiges Fauchen, gefolgt von einem heißen Luftstrom, der seine Haut versengte. Er roch nach Ozon und heißem Staub.
    Hoffnungsvoll erhob sich Arif und lief zum Tor zurück. Der Ozongeruch wurde stärker. Im Zentrum der Entladung waren Sand und Stein geschmolzen und zu Lava erstarrt, doch der rötliche Schimmer des glühenden Gesteins endete abrupt in der Dunkelheit des Felsentores, und das silbrige Gespinst füllte nach wie vor den gesamten Eingang aus.
    »Nei-ein!« Verzweifelt ließ sich der Junge zu Boden sinken und begann erneut zu weinen.
    Doch plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck. Der Strom der Tränen versiegte, und Arif starrte das Tor feindselig an.
    »Nein«, flüsterte er mit tonloser Stimme, »du kannst mich nicht aufhalten. Djamila hat mir vertraut, und ich habe sie nicht schützen können. Jetzt bin ich hier, um ihre Vergebung zu erflehen. Du kannst mich töten, aber du wirst keinen Feigling aus mir machen ...«
    Etwa zwanzig Meter trennten den Jungen jetzt noch von dem Eingang der Höhle. Obwohl das Glühen schwächer geworden war, strahlten die Steine

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