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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Blockaden ist noch aktiv und kann erst allmählich abgebaut werden.«
    Das klang plausibel, erklärte aber nicht, was die Bewußtlosigkeit verursacht hatte und weshalb sie sich nicht an die Zeit davor erinnern konnte.
    »Hatte ich einen Unfall?«
    »So könnte man es nennen«, erwiderte die Psychologin ausweichend. »In jedem Fall haben Sie einen traumatischen Schock erlitten und mußten mehrfach operiert werden. Da Ihr Zustand äußerst instabil war, hielten die behandelten Ärzte es für angeraten, Sie in eine Art künstliches Koma zu versetzen.«
    Aus dem ich dann nicht wieder aufgewacht bin, dachte Lena, fand aber nicht den Mut zu weiteren Fragen. Die Auskünfte der Ärztin hatten ihre Verunsicherung eher noch verstärkt. Sie schloß die Augen zum Zeichen, daß sei alleinbleiben wollte. Als sie sie Minuten später wieder öffnete, war die Frau nicht mehr da.
    Am dritten Tag nach ihrer Verlegung auf die Wachstation erhielt Lena Besuch von einem älteren, südländisch aussehenden Herrn, der einen Besucherkittel trug und sich als Professor Montoya vorstellte. Nachdem er sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte, überraschte er Lena mit der Information, daß er als ehemaliger Chefarzt der Neurochirurgie das Team geleitet hätte, das Lena damals – das Wort jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken – operiert hatte. Er habe seitdem oft an sie gedacht und freue sich, daß ihre Genesung Fortschritte mache. Anders als die »verehrte Kollegin« Dr. Weissenbach, die sie sicherlich schon kennengelernt habe, sei er allerdings der Ansicht, daß es keinen Sinn hätte, Patienten Informationen vorzuenthalten. Absolut hoffnungslose Fälle natürlich ausgenommen ...
    Und so erfuhr Lena in den nächsten Minuten, daß ihr die Explosion (welche und wo?) beide Beine unterhalb des Kniegelenkes abgerissen hatte, daß die ihr damals eingepflanzten Ne u romove-Aktivprothesen auch heute noch als die besten auf dem Markt galten, und daß sie nach Lage der Dinge in 8 bis 12 Wochen wieder auf »eigenen Füßen« stehen würde. Auch wenn es mit dem New-York-Marathon wohl so schnell nichts werden würde, ha ha ha.
    Der Mann besaß offensichtlich das Gemüt eines Fleischerhundes, aber sein Optimismus wirkte ansteckend, was Lena zu der Frage verleitete: »Werde ich wieder tanzen können?«
    Die Frage schien den Besucher zu überraschen. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft sah er Lena direkt ins Gesicht. Er hatte wunderschöne braune Augen, deren melancholischer Ausdruck sein burschikoses Auftreten Lügen straften.
    »Tanzen«, sagte er nachdenklich. »Irgendwie hatte ich gehofft, Sie hätten genug davon, nach allem, was geschehen ist. Aber das war natürlich Unsinn. Tanzen ist Ihr Leben.«
    Der Professor nickte, als sei ihm das Gesagte eben erst selbst klargeworden.
    »Nein«, fuhr er dann in sachlicherem Tonfall fort. »Gehen und nicht allzu zügiges Laufen dürften kein Problem darstellen, aber Sprünge, wie man sie von Ihnen gewohnt ist? Belastungen dieser extremen Art würden das Material vermutlich binnen kürzester Zeit zerstören. Jedenfalls unter normalen Schwerkraftbedingungen ... Es tut mit leid.«
    Und dann tat er etwas, das Lena völlig fassungslos zurückließ: Er nahm ihre Hand, so sanft und vorsichtig, als sei sie etwas ungemein Zerbrechliches, beugte sich darüber und küßte sie. Dann ging er, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Kaum zehn Minuten später erschien Dr. Weissenberg in Lenas Zimmer und fragte besorgt, wie es ihr ginge. »Er benimmt sich, als sei er immer noch der Chef hier«, erklärte sie sichtlich erregt, »und das Ärgerliche ist, daß er sich von niemandem etwas sagen läßt, erst recht nicht von einer Frau. Der Professor ist und bleibt ein unverbesserlicher Macho.«
    »Zu mir war er nett«, versetzte Lena, ohne die Psychologin anzusehen. Sie sprach immer noch ein wenig stockend, als bereite es ihr Mühe, die richtigen englischen Vokabeln zu finden. »Und er hat vor allem nicht versucht, mir etwas vorzumachen. Vielleicht hätte ich ihn fragen sollen, wie lange ich schon hier bin ...«
    Rachel antwortete nicht sofort. Erst als Lena sich zu ihr umdrehte und ihr direkt in die Augen sah, entschloß sie sich, das Risiko einzugehen: »Etwas mehr als achtzehn Jahre.« Sie hätte gern noch etwas Tröstliches hinzugefügt, aber das war gar nicht nötig.
    Die dunkelhaarige Frau nickte wie jemand, der seine Vermutung bestätigt sieht. Dann huschte ein kleines trotziges Lächeln über ihr Gesicht, als sie erklärte:

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