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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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»Keine Angst, Doktor. Ich springe nicht aus dem Fenster. Diese Dinger«, sie deutete in Richtung Fußende ihres Bettes, »sind für so etwas nicht ausgelegt.«
     
    Am 6. August des Jahres 2062, zwei Wochen früher als von Professor Montoya vorhergesagt, verließ Lena in Begleitung von Dr. Rachel Weissenberg die Klinik über einen Hinterausgang, wo ihre Freundin Miriam bereits in einem Taxi auf sie wartete.
    »Danke für all die Mühe, die Sie sich mit mir gegeben haben«, wandte sie sich zum Abschied an ihre Begleiterin. »Ich fürchte, ich war keine besonders kooperative Patientin.« Sie wischte Rachels Protest mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite und fuhr fort: »Als ich mir diesen Feuertanz-Schinken ansehen mußte, haben Sie mich hinterher gefragt, was ich denn daran so lächerlich fände. Ich verrate Ihnen heute ein Geheimnis ...« Sie beugte sich zu Rachel hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
    »Und außerdem«, fügte sie voller Genugtuung hinzu, als sie sah, daß die Psychologin leicht errötet war, »tanzt diese Fielding in etwa so elegant wie eine in Tüll gewickelte Pirogge.«
    Kaum eine Minute später schoß das Taxi am Pulk der wartenden Reporter vorbei und bog mit quietschenden Reifen auf die Stadtautobahn ein.
    Die Psychologin sah dem Wagen nach, bis er nur noch ein winziger gelber Fleck am Horizont war, und fragte sich, weshalb sie weder Freude noch Erleichterung empfand. Vielleicht bildete sie sich das Ganze nur ein, oder sie hatte tatsächlich einen Hauch von Kälte gespürt, einen drohenden Schatten, der sich hinter dem forschen, beinahe übermütigen Auftreten der Tänzerin verbarg.
     
    In den darauffolgenden Monaten gelangten keinerlei Informationen über den Aufenthaltsort oder die Lebensumstände der ehemals berühmtesten Tänzerin der Welt an die Öffentlichkeit. Offenbar lebte sie völlig zurückgezogen an einem geheimgehaltenen Ort.
    Man mutmaßte zwar, sie sei die Stifterin der großzügigen Spende, die einige Wochen nach ihrer Entlassung über eine internationale Hilfsorganisation die überlebenden Opfer und Hinterbliebenen des Melenki-Attentats erreichte, aber das blieb reine Spekulation.
    Noch unglaubwürdiger erschien die Behauptung einiger Einheimischer, sie hätten am Grab des Obersts Sergej Dawidenko eine schwarz gekleidete Frau knien sehen, die kurz danach in einem Taxi mit Moskauer Kennzeichen abgereist sei. In den akribisch geführten Passagierlisten der in Frage kommenden Transatlantikflüge fand sich jedenfalls kein Eintrag auf den Namen Romanowa, und der Geschäftsbereich Moskauer Taxi-Unternehmen endete unter den Bedingungen des Ausnahmezustands an der Stadtgrenze.
    Ähnlich skeptisch wurde der Anruf eines Passagiers aufgenommen, der Lena Romanowa an Bord der »Queen of Hearts«, eines Linienraumschiffs der Goldsmith-Klein-Gruppe, gesehen haben wollte. Er sei ihr in einem abseits gelegenen Fitneßraum begegnet, und sie habe einen schwarzen Gymnastikanzug getragen. Der Mann war 82 Jahre alt und schien ein wenig verwirrt zu sein. Wie hätte er sonst behaupten können, die Romanowa habe sich seit ihrem letzten Gastspiel an der Chicagoer Oper kaum verändert? Recherchen ergaben, daß besagter Auftritt an der LOC vor 22 Jahren stattgefunden hatte. Der Anrufer litt ganz offensichtlich unter eine Idee fixe, und so landete sein Hinweis zusammen mit diversen UFO-Sichtungen und Marienerscheinungen in der Ablage.
    Als Goldsmith-Klein im September 2063 überraschend die Verpflichtung der Romanowa bekanntgab, schlug die Nachricht ein wie eine Bombe. Wöchentliche Ballettabende mit einer 65-jährigen Ex-Diva, die erst vor wenigen Monaten aus dem Koma erwacht war und zudem Fußprothesen trug – das war entweder ein schlechter Scherz oder ein äußerst raffinierter PR-Schachzug. Zeitungen und TV-Netzwerke reagierten mit skeptischen und teilweise sogar hämischen Kommentaren, die auch nicht verstummten, als eine weitere prominente Verpflichtung bekanntwurde: Fabian R. Fahrenburg von der Bayerischen Staatsoper, der als »Nurejew von der Isar« bereits große Popularität erlangt hatte, würde Lenas Partner sein. Kenner der Ballettszene, insbesondere jene, die schon mit einem der beiden Künstler zusammengearbeitet hatten, hielten sich dagegen mit Äußerungen zurück oder beurteilten das Projekt sogar positiv. Henry Santini, ehemals künstlerischer Direktor des New-York-Balletts, vermutete sogar eine tiefe Symbolik hinter dem gemeinsamen Auftritt der »beiden schillerndsten

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