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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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das Dröhnen des Pulses in den Schläfen verging. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten, beschleunigte sich ihr Schritt fast von selbst.
    Martin Lundgren ging als letzter, und auch das mußte so sein. Er hatte das Tor als erster geöffnet, und so würde er auch der letzte sein, der es durchschritt. Es war zweifellos richtig, dennoch empfand Martin ein gewisses Unbehagen dabei. Er hatte durchaus nichts dagegen, Verantwortung zu übernehmen. Selbstverständlich würde er bereit sein, wenn einer der Männer in Schwierigkeiten geriet, und dafür sorgen, daß niemand zurückblieb. Aber eine Ahnung sagte ihm, daß sich seine Aufgabe nicht darauf beschränken würde ...
    Sie liefen weiter, in fast unvermindertem Tempo, obwohl die Straße jetzt sanft anstieg, und mit den Schatten der Dämmerung wich auch die Beklemmung, die sie mürrisch und wortkarg gemacht hatte. Erste Bemerkungen wurden ausgetauscht, und als die Sonne höher stieg und das Tal mit ihrem weichen lachsroten Licht füllte, fühlten sie sich fast wie in alten Tagen, als sie noch mit ihren Rummdogs auf Steinsuche gegangen waren.
    Doch schon bald wurde ihnen klar, daß die Veränderung nicht nur mit dem Tageslicht zu tun hatte. Etwas ging in ihnen vor – etwas, das durchaus auch körperlicher Natur war. Obwohl sie ihre Häuser zuletzt kaum noch verlassen hatten, erschien ihnen die Landschaft ringsum so vertraut, als wären sie erst gestern hier gewesen. Dieses Gefühl beschränkte sich nicht auf visuelle Wahrnehmungen, sondern  umfaßte alle Sinne und sogar ihre Art zu atmen oder sich zu bewegen. In gewisser Weise empfanden sich die Wandernden selbst als Teil dieser Landschaft, die Vergangenheit und Zukunft in sich trug wie eine Kette, deren Elemente Anfang und Ende zugleich waren.
    Sie waren hier zu Hause. Noch nie waren sich die Männer dessen so sicher gewesen wie an diesem Tag, auf diesem Weg, an dessen Ende eine Entscheidung fallen würde. Welche, das wußten sie noch nicht, aber die Ungewißheit bedrückte sie nicht mehr. Auch deshalb gewannen ihre Schritte an Festigkeit, und das Blut strömte schneller durch ihre Adern, als wären sie tatsächlich wieder jung.
    Nach einer weiteren Stunde Fußmarsch trennten sich Straße und Flußtal. Früher hatte man von hier bis hinüber nach Port Marineris sehen können; jetzt hatten die Winterstürme den künstlichen Durchbruch mit Sand gefüllt und die Straße in Richtung Stadt blockiert.
    Die Männer vermißten die fehlende Aussicht nicht. Der Anblick der sterbenden Stadt würde nur wehtun, trotz allem. Immerhin war Port Marineris die erste Siedlung auf dem Mars gewesen – ein Symbol des Aufbruchs mit seinen ausgedehnten Hafenanlagen und den mächtigen Generatoren. Doch nun war das Dröhnen der Aggregate verstummt, der Raumhafen längst wieder Teil der Wüste, und rings um die Stadt sanken die Maschinen der Menschen wie vorzeitliche Ungeheuer in den Staub – kehtah Rigen sanura. Die Worte der alten Sprache bedeuteten etwa soviel wie »das zerbrechliche Werk des Augenblicks«, aber das war nicht die vollständige Aussage, die sich der Beschreibung mit Menschenworten entzog. Die Männer verstanden dennoch, und so hielten sie auch nicht inne auf ihrem Weg, um zurückzublicken und dem Schmerz des Abschieds von ihrem früheren Selbst neue Nahrung zu geben. S e lan mentaki oran ...
    Sie ließen Straße und Stadt hinter sich und folgten dem Lauf des Megote, des alten Flusses, talabwärts. Das Gelände wurde jetzt unwegsamer, und sie mußten immer wieder Hindernissen ausweichen, einzelnen Felsblöcken und Geröll, das sich von den Hängen der Schlucht gelöst hatte und zu Tal gestürzt war. Trotz des zunehmenden Gefälles behielten die Männer ihr ursprüngliches Tempo bei. Fast schien es, als ahnten sie Hindernisse im voraus, so sicher bewegten sie sich auf dem zerklüfteten Terrain. Selbst als die Schlucht schmaler wurde und die Schatten der Felswände den Grund des Cañons in Dunkelheit tauchten, wurden sie kaum langsamer. Dennoch kam keiner der Männer vom Weg ab oder geriet ins Straucheln. Ihre Sinne hatten sich auf schwer zu erklärende Weise verfeinert, oder lag es daran, daß sie tatsächlich zu einem Teil ihrer Umgebung geworden waren? Martin wußte es nicht. Seine Füße fanden selbst im tiefsten Schatten sicheren Halt, und trotz der langen Wegstrecke, die nun schon hinter ihnen lag, verspürte er keinerlei Anzeichen von Erschöpfung.
    Etwas würde anders sein. Diese Gewißheit hatte nichts mit

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