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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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regenbogenfarbenes Netz aus Licht.
    Die Stadt im Tal brannte noch immer.
     

Der lange Weg
     
    Sie gingen gemeinsam.
    Die Männer hatten sich nicht abgesprochen, und doch wußte jeder einzelne von ihnen, daß Tag und Stunde richtig waren. Sie brachen im Morgengrauen auf, denn der Weg war weit und das Warten hatte an ihren Kräften gezehrt.
    Das Wunder, auf das sie wider besseres Wissen gewartet hatten, war ausgeblieben. Das Band zur Erde war zerrissen. Die Überlebenden hatten anderes zu tun, als Raumschiffe zu bauen. Ganze Städte waren davongespült worden, Straßen, Eisenbahntrassen und Flughäfen unter Bergen von Schlamm begraben. Es würde Jahrzehnte dauern, bis die Folgen der Katastrophe beseitigt waren, Jahrhunderte vielleicht. Dennoch hatten sie bis zuletzt auf ein Zeichen gewartet, ein Signal, vielleicht von einem der tausend Satelliten, die noch immer die Erde umkreisten wie hungrige Raubvögel. Ein Raketenstart, wo auch immer, wäre nicht unentdeckt geblieben. Und Flemming – das wußten alle – hätte sie sofort informiert.
    Niemand würde mehr kommen. Die Erkenntnis war bitter, doch im Lauf der Jahre hatten die Männer gelernt, das Unabänderliche zu akzeptieren. Sie waren alt geworden dabei, unvorstellbar alt nach irdischen Maßstäben, aber irdische Maßstäbe galten hier nicht mehr. Im Grunde hatten sie nie gegolten, aber das war ihnen erst richtig klargeworden, als in der letzten Stadt die Lichter erloschen waren ...
    Die Menschen waren gegangen, und die Wüste hatte sich wiedergeholt, was die Kolonisten ihr abgerungen hatten. Die Grüngürtel waren verdorrt oder unter Dünen begraben, und unter den zerborstenen Kuppeln der Städte versanken ganze Straßenzüge unter Gebirgen aus Sand. Der allgegenwärtige Staub hatte die Fenster blindgeschliffen und kroch nun über Treppenhäuser und Fahrstuhlschächte aufwärts wie ein lebendiges Wesen – bedächtig aber unaufhaltsam.
    Geblieben waren nur sie, Einsiedler und Sonderlinge allesamt in ihren abgelegenen Behausungen, die den Berghöfen iberischer Ziegenbauern ähnelten. Doch da war noch etwas, das sie von allen anderen unterschied – selbst von jenen Abenteurern und Saison-Steinsuchern, die wie sie außerhalb der Schutzkuppeln gelebt hatten: Sie waren nicht zufällig hier. Es wäre ihnen niemals eingefallen, darüber zu sprechen, und doch wußten sie voneinander wie Verschworene, die ein dunkles Geheimnis teilen. Es war ein Wissen, das keiner Worte bedurfte ...
    Damals, als sie sich auf den Weg gemacht hatten, waren sie verzweifelt gewesen, auch wenn sie das niemals offen zugegeben hätten. Von einer unbestimmten Sehnsucht getrieben, waren sie dem Ruf des Unbekannten gefolgt und hatten sich den Prüfungen gestellt, die das Tor für sie bereithielt. Was danach geschehen war, hatte sie verändert, g e zeichnet – nicht äußerlich, aber in den Augen derer, die waren wie sie. Einige von ihnen waren Kolonisten der ersten Stunde gewesen, andere waren erst Jahrzehnte später gerufen worden, aber d a nach war all das nicht mehr wichtig.
    Jemand hatte gewußt, was ihnen fehlte, und dafür gesorgt, daß der Schmerz von ihnen genommen wurde. Über das Wie hatten sie längst aufgehört nachzudenken. Es gab keine plausible Erklärung für das Geschehene. Vielleicht waren sie tatsächlich in einer Art Traum gefangen, aber auch das war letztlich ohne Bedeutung, solange sie nur an ihm teilhaben durften ...
    Also waren sie geblieben und hatten Wurzeln geschlagen in dieser kargen Landschaft, die ihnen längst vertrauter erschien als die Orte ihrer Jugend. Als der Krieg auf der Erde eskalierte und in den Mars-Siedlungen die ersten Unruhen ausbrachen, verfolgten sie das Geschehen mit einer Mischung aus Besorgnis und Unverständnis, aber es ging ihnen nicht wirklich nahe. Doch erst als die letzten Kolonisten in Panik geflüchtet oder gestorben waren und die Städte verfielen, wurde ihnen klar weshalb: Sie gehörten nicht mehr d a zu.
    Es war nicht nur ihr Metabolismus, der sich den Verhältnissen angepaßt hatte; auch ihre Art, die Dinge zu betrachten, hatte sich verändert. Sie ahnten, daß all das keineswegs zufällig geschah, hüteten sich aber, über die Konsequenzen nachzudenken.
    Vielleicht hatten die Männer deshalb solange ausgeharrt in ihren abgelegenen Gehöften, denn nichts fürchteten sie mehr als den Abschied von jenen, die sie liebten. Zwar hofften sie, daß es nicht für immer sein würde, aber sicher waren sie sich dessen keineswegs. Jetzt hatte

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