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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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den Veränderungen zu tun, die ihn selbst betrafen. Obwohl sich der rosafarbene Streifen Himmel über ihnen kaum verändert hatte, seitdem sie im Schatten der Felswände unterwegs waren, spürte er bereits den kühlen Atem der heraufziehenden Dämmerung. Bald würden sie in völliger Dunkelheit unterwegs sein. Der Gedanke schreckte ihn nicht, obwohl die Männer keine Taschenlampen oder sonstige Lichtquellen mitführten. Der Fluß würde ihnen den Weg weisen – auch in dunkelster Nacht. So, wie es bestimmt war: Megotei haleb ...
    Als der Lichtstreifen hoch über ihnen schließlich zu einem stumpfen Grau verblaßte, fiel die Dämmerung wie ein dunkles Tuch herab und ließ die Konturen der Felswände zu vagen Umrissen verschwimmen. Doch die rasch einfallende Dunkelheit vermochte die Männer nicht aufzuhalten. Sie hatten schnell gelernt, sich ihrer neu gewonnenen Sinne zu bedienen, die ihnen das Augenlicht ersetzten. Martin konnte die Beschaffenheit des Bodens fühlen, bevor seine Füße ihn berührten, und genauso registrierte er auch die feuchte Kälte des Felsens, bevor er ihm zu nahe kommen konnte.
    Dennoch wäre er beinahe mit seinem Vordermann – es war Pierre Flemming, der Ingenieur – zusammengestoßen, als der unvermittelt stehenblieb, ebenso wie die Männer vor ihm. Bevor Martin sich fragen konnte, was die anderen aufgehalten hatte, hörte er es selbst: ein leises Plätschern wie von einem Bachlauf oder dem Wellenschlag eines größeren, fast unbewegten Gewässers. Die Tatsache, daß es auf dem Mars unterirdische Wasser-Reservoirs gab, überraschte ihn nicht, doch das Flußbett war stets trocken gewesen. Wenn ein Teil davon jetzt wieder Wasser führte, dann hatte das etwas zu bedeuten ...
    Ein Bild stieg vor seinem inneren Auge auf: Er sah hinab in die Tiefe einer gewaltigen Schlucht auf den stillen, dunklen Strom und die smaragdgrünen Lichter der Boote, die lautlos stromabwärts glitten. Khalin t e para suhit – »die Straße der müden Augen« . Die fremden Worte hatten wie von selbst den Weg in sein Bewußtsein gefunden, und der Versuch einer Deutung war nicht mehr als eine Konzession an die Vergangenheit. Bald würde er Schwierigkeiten haben, in den überkommenen Begriffen zu denken – eine Überlegung, die ihn wehmütig stimmte wie ein Bild aus Kindertagen. Er würde etwas aufgeben müssen, das Teil seiner selbst war ...
    Langsam, beinahe andächtig, als fürchteten sie, mit ihren Schritten das leise Plätschern des Wassers zu übertönen, gingen die Männer weiter. Die Quelle des Geräuschs schien jedoch weiter entfernt, als sie zunächst angenommen hatten. Vielleicht lag es an der Akustik der Schlucht, deren hochaufragende Wände jeden Laut aufnahmen, dutzendfach reflektierten und weitertrugen, oder die Stille hatte sie extrem hellhörig gemacht. Nach jeder Biegung des Weges erwarteten sie, auf Wasser zu stoßen, und spürten einen leisen Stich der Enttäuschung, wenn doch wieder nur trockener, geröllbedeckter Felsboden vor ihnen lag.
    Als es dann endlich soweit war, erkannte Martin den Ort sofort. Noch bevor sie den Felsvorsprung passiert hatten, der ihnen die Sicht versperrte, wußte er auch, was anders sein würde: das Boot! Hier im Schatten des Felsens hatte es damals gelegen – kieloben und seit Jahrtausenden unberührt.
    Jetzt war es verschwunden, und an seiner Stelle lag ein wirkliches Boot am Ufer einer dunklen Wasserfläche, die – offenbar von einer unterirdischen Quelle gespeist – das ehemalige Flußbett ausfüllte. Nur der vordere Teil des Bugs lag noch an Land, als hätten es diejenigen, die es normalerweise benutzten, für einen Augenblick der Rast ans Ufer geschoben. Doch es war niemand da. Und es würde auch niemand mehr kommen, davon war Martin augenblicklich überzeugt. Das Boot wartete auf sie ...
    Die Männer standen stumm und betrachteten das Wasserfahrzeug in ungläubigem Staunen. Die meisten waren schon einmal hier gewesen und erinnerten sich genau an das versteinerte Relikt, das ihnen damals fast wie ein Wunder erschienen war. Der unvermutete Anblick eines funktionstüchtigen Bootes mit Mast und Segel irritierte sie mehr als die Tatsache, daß der Fluß plötzlich Wasser führte, obwohl sein Bett nur ein paar Dutzend Meter zuvor vollkommen trocken gewesen war.
    Sie traten näher und berührten den Rumpf des Bootes so vorsichtig, als fürchteten sie, es könne wie eine Fata Morgana verschwinden. Doch dieses Boot war real, und das Holz der Planken fühlte sich glatt und

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