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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Projekt Fortschritte. Für ein paar Hundert Euro hatte er einen gebrauchten Kurzweil-Turing-Modul erworben – eine Kommunikationssoftware, die das Verhalten eines menschlichen Gesprächspartners simulierte.
    Nachdem Julius das Softwarepaket installiert und die erforderlichen Stammdaten eingegeben hatte, löschte er das Licht im Zimmer und zündete eine Kerze an. Dann aktivierte er das Programm.
    »Hallo, Julius!« sagte das Mädchen auf dem Bildschirm mit Julias Stimme. »Wie geht es dir?«
    »Ganz gut«, antworte Julius und räusperte sich. Doch das Brennen in seiner Kehle blieb.
    »Sehr gesprächig bist du ja nicht gerade«, bemerkte Julia leichthin. Täuschte er sich, oder spielte da tatsächlich ein ironisches Lächeln um ihre Lippen?
    Unmöglich, meldete sich der Techniker in ihm. Nicht bei einem so simplen Programm. Julius ignorierte den Einwand. Er kannte dieses verräterische Zucken der Mundwinkel nur zu gut. Sie wollte ihn provozieren.
    »Weil ich erst nachdenke, bevor ich etwas sage«, erwiderte er mit einem hinterhältigen Grinsen, ohne sich bewußt zu machen, daß sie ihn nicht sehen konnte.
    Die junge Frau auf dem Bildschirm schien dennoch amüsiert.
    »Ach ja?« versetzte sie und zog in gespieltem Erstaunen die Augenbrauen hoch. »Und worüber?«
    In diesem Augenblick ähnelte sie seiner Julia so sehr, daß es wehtat. Wie konnte eine Kombination von Allerweltsprogrammen so etwas bewerkstelligen? Oder bildete er sich das Ganze nur ein? Er mußte sich Klarheit verschaffen, auch wenn das die Illusion zerstörte!
    »Über damals natürlich«, erwiderte Julius mit einem flauen Gefühl im Magen. »Du weißt schon: unsere alte Tour.«
    Natürlich konnte diese Julia nichts darüber wissen. Ihre Datenbank enthielt nach Auskunft des Lieferanten nur allgemeine Daten der verschiedensten Wissensgebiete. Aber was, wenn doch?
    »Könntest du dich nicht ein wenig genauer ausdrücken?« erkundigte sich das Mädchen ohne eine Spur von Verlegenheit.
    Sie weiß es nicht, dachte Julius halb erleichtert und doch auf irrationale Weise enttäuscht. Daß er dennoch bereit war, »sie« als Persönlichkeit zu akzeptieren, kam ihm dabei kein bißchen merkwürdig vor.
    »Wir reden später darüber«, murmelte er ausweichend. »Erzähl mir einfach, was du heute den Tag über so getrieben hast.« Das war natürlich ein Kapitulationsangebot, aber er wollte einfach nur ihre Stimme hören – Julias Stimme.
    » Getrieben habe ich gar nichts.« Wieder dieses leichte Zucken der Mundwinkel, das ihm so schmerzhaft vertraut war. »Ich war mit Lena essen, und dann haben wir uns ›Mohammeds Töchter‹ im Kino angesehen.«
    Julius wußte nicht, wer Lena war, und auch an den Filmtitel erinnerte er sich nur vage. Er war schon lange nicht mehr im Kino gewesen.
    »Und wie war es?«
    »Na ja, genau wie die Bücher von diesem Kerl, Höllebeck oder wie er heißt, – sexistisch, pervers und voreingenommen.«
    »Klingt gut«, grinste Julius. »Erzähle!«
    »Das könnte dir so passen«, erwiderte Julia mit einem anzüglichen Lächeln. »Ich weiß schon, weshalb dich das interessiert.« Aber sie erzählte ihm die Handlung trotzdem, und zwar so anschaulich, als hätte sie es darauf angelegt, ihn in Verlegenheit zu bringen.
    Es war schön, ihre Stimme zu hören und sich dabei vorzustellen, sie wäre bei ihm. So nahe, daß er nur die Hand ausstrecken mußte, um sie zu berühren. Wie oft hatte er davon geträumt? Julius blieb lange wach an diesem Abend und auch an den folgenden, sprach wenig, hörte meistens nur zu. Natürlich wußte ein Teil von ihm, daß er sich einer Selbsttäuschung hingab, daß das Mädchen auf dem Bildschirm nicht Julia war, sondern ein elektronisches Etwas, das er selbst erschaffen hatte. Aber das machte ihm nichts aus. Es war ja nur der Anfang. Wenn sein Vorhaben Erfolg hatte, dann würde Julia schon bald mehr sein als ein sprechendes Spielzeug mit ihrem Gesicht.
     
    Am Montag, dem 15. September 2026, waren die Vorarbeiten für Julias zukünftige Existenz beinahe abgeschlossen. Noch schlief sie mit abgeschalteten Sinnen im Kernel des nagelneuen Zephir 9000-Computers, den Julius vor Monatsfrist angeschafft hatte. Es war ihm nicht leichtgefallen, seine Eltern um das Geld für die Anzahlung zu bitten, aber letztlich heiligte der Zweck die Mittel. Er hätte das Geld auch gestohlen, wenn er gewußt hätte, wie man so etwas anstellt.
    Vorgestern hatte er das Saatprogramm gestartet, das innerhalb von 96 Stunden die notwendigen

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