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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Verknüpfungen der Neuronalmatrix anlegen und aktivieren würde. Danach würde die neue Julia zumindest grundsätzlich in der Lage sein, selbständig zu denken. Die persönlichkeitstunabhängigen Inhalte der Assoziativspeicher hatte er im Institut kopiert, die anderen in nächtelanger Arbeit manuell zusammengestellt. Die neue Julia würde sich an Meerburg und die Orte ihrer gemeinsamen Abenteuer erinnern. Gefühle waren nicht konfigurierbar, dennoch war Julius überzeugt davon, daß sie ihn mögen würde. Der Gedanke an Kevin Schwarz und dessen unverständliches Schweigen bereitete ihm seltsamerweise keinerlei Kopfschmerzen. Se i ne Julia würde anders sein – selbstbewußt und spontan, wie er sie in Erinnerung hatte.
    Als das Telefon klingelte, nahm er zunächst an, jemand hätte sich verwählt. Seine Nummer stand nicht im Telefonbuch, und er pflegte nur wenige Bekanntschaften. Die Stimme der Anruferin klang verstört, und so dauerte es ein wenig, bis Julius sie erkannte. Es war Frau Amberg, Professor Prohaskas Sekretärin.
    »Es ist ein Unglück passiert. Der Herr Professor ist ...« Sie räusperte sich und fuhr dann etwas gefaßter fort: »Die Polizei ist im Haus und möchte sämtliche Mitarbeiter sprechen. Können Sie heute noch herkommen?«
    Julius fuhr sofort los und war eine knappe Stunde später vor Ort. Von den Beamten, die seine Aussagen zu Protokoll nahmen, erfuhr er nur, daß der Professor tot in seinem Arbeitszimmer aufgefunden worden sei. Mehr wollten sie ihm nicht sagen, aber aus ihrem Verhalten schloß er, daß sie von Selbstmord ausgingen. Er bestätigte auf Nachfrage, daß Professor Prohaska die Wochenenden zumeist im Institut verbrachte. Nein, er wisse nicht, was er an einem Sonntag in der Computerzentrale zu erledigen gehabt habe, und ihm sei auch sonst nichts Außergewöhnliches aufgefallen. Er unterschrieb das Protokoll und lief wie in Trance zurück zum Parkplatz. Später erinnerte er sich nicht mehr, wie er nach Hause gekommen war.
    In dieser Nacht schlief Julius wenig, und als es dämmerte, hatte er einen Entschluß gefaßt. Es gab nur eine Person, die ihm Auskunft geben konnte. Und diese Person war kein Mensch.
    Die Stadt schlief noch, als er durch taufeuchte Straßen zum Institut fuhr. Das Tor war geschlossen, aber sein ID-Chip funktionierte noch. Es war still, so still, daß ihm das Knirschen des Kieses unter den Reifen überlaut erschien. Doch es war niemand da. Nirgendwo brannte Licht, und im Innenhof parkte einzig der Jaguar des Professors. Offensichtlich hatte man die Polizisten bereits abgezogen.
    Der Fahrstuhl brachte Julius ins Kellergeschoß. Leuchtstofflampen flammten auf und tauchten den Korridor in blendendes Weiß. Blinzelnd tastete er sich vorwärts, bis sich seine Augen an das helle Licht gewöhnt hatten. Ein feines Surren erinnerte ihn an die Überwachungskameras, die jeden seiner Schritte akribisch aufzeichneten. Die Polizei würde Fragen stellen, wenn sie die Aufzeichnungen sichtete, aber das kümmerte ihn nicht. Schließlich hatte er nichts Ungesetzliches vor.
    Mit klopfendem Herzen legte er seine rechte Hand auf die Kontaktplatte und fixierte dabei die Öffnung des Irisscanners. Flackerndes Rotlicht füllte für Sekunden sein Blickfeld, dann war die Prozedur abgeschlossen. Zischend öffnete sich die schwere Stahltür, und Augenblicke später hatte Julius die Sicherheitsschleuse passiert.
    Der Schaltraum schien unverändert, Monitore und Bediengeräte befanden sich an ihren angestammten Plätzen, und die Kontroll-Leuchten schimmerten in beruhigendem Grün. Nichts deutete darauf hin, daß sich hier etwas Außergewöhnliches abgespielt hatte.
    Das silberne Netz fiel Julius erst auf, als er sich anschickte, die VR-Ausrüstung anzulegen. Es lag zwischen zwei Headsets und war mit einem Spiralkabel an eine der Konsolen angeschlossen. Es ähnelte einem Haarnetz, nur daß es nicht aus Gummifasern bestand, sondern aus dünnen elastischen Drähten. An den Schnittpunkten waren silberne Elektroden befestigt, deren Oberfläche jedoch nicht glatt war, sondern in eine nadelfeine Spitze auslief wie bei einer winzigen Reißzwecke. Zweifellos würden sich die haarfeinen Spitzen in die Kopfhaut bohren, sobald man das Netz anlegte.
    Professor Prohaska hatte es getan, davon war Julius augenblicklich überzeugt, auch wenn er keine Vorstellung hatte, wie die Kopplung zwischen dem Elektrodennetz und Kevin Schwarz’ künstlichem Gehirn funktionierte. Der Professor mußte das Wochenende

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