Die Schatten des Mars
klarwerden, wo er sich befand, dann nahm er sie in die Arme. Ihre Haut war warm, viel wärmer als seine, als hätte ihr Körper die Hitze des Tages auf geheimnisvolle Weise gespeichert. Als sich ihre Lippen voneinander lösten, fror Martin nicht mehr – im Gegenteil.
»Nein«, flüsterte Anna, als sie seine Erregung spürte, und löste sich aus seiner Umarmung, »das bringt Unglück.«
Martin begriff nicht ganz, was das Mädchen damit sagen wollte, versuchte aber nicht, Anna umzustimmen. Später erschien es ihm, als hätte sie bereits zu diesem Zeitpunkt gewußt oder geahnt, was geschehen würde ...
Als sie die ehemalige Dampferanlegestelle erreichten, hatte sich bereits eine Menge Schaulustiger dort versammelt. Auch Nik war mit von der Partie. Er war in Gesellschaft einer unternehmungslustig aussehenden Blondine und eines angebrochenen Sixpacks, das er auf der Motorhaube seines Wagens deponiert hatte.
Nik winkte ihnen flüchtig zu, schien aber keinen Wert auf ihre Gesellschaft zu legen. Martin war es recht. Er hatte keinen Durst, und nach Feiern war ihm ohnehin nicht zumute.
Das Feuerwerk begann Schlag elf, und es war großartig. Fauchend und zischend schossen die Raketen in den nachtblauen Himmel und explodierten in leuchtenden Feuerblumen, die sich auf der Wasseroberfläche spiegelten. Rauchbomben erzeugten künstliche Wolken, auf die Laserkanonen riesige Bilder projizierten. Es waren patriotische Bilder, aber das störte niemanden, schon gar nicht heute am Unabhängigkeitstag. Es gab eine Freiheitsstatue, die größer und prächtiger wirkte als das Original, es gab Hologrammdarstellungen von Kampfjets, die wie Raubvögel auf ihre Beute herabstießen, und schließlich sogar ein Raumschiff, das auf einer gewaltigen Feuersäule in den Weltraum startete.
Irgendwann würde Martin selbst ein solches Raumschiff steuern. Seine Bewerbung an der USAF Academy war nur der erste Schritt. Er würde die Einladung bekommen, davon war er fest überzeugt. Anna wußte noch nichts davon. Martin kannte ihre Abneigung gegen alles Militärische und war sich keinesfalls sicher, wie sie reagieren würde. Aber vielleicht verstand sie, daß es für ihn nur diesen Weg gab ...
Schlagartig verstummte der Lärm der Böller, die Lichtspeere der Laserkanonen erloschen, und die Rauchwolken begannen sich aufzulösen. Die Menge wurde unruhig. Plötzlich ein Donnerschlag: Dutzende, nein Hunderte von Raketen schossen gleichzeitig in die Nacht, jede an ihren genau vorbestimmten Ort, und dann explodierte der Himmel im Glanz eines flammenden Sternenbanners, zusammengesetzt aus roten, weißen und blauen Leuchtfeuern, die an Fallschirmen sanft herabschwebten, bis der letzte weiße Stern in den Fluten des Reelane versunken war.
Es war ein Anblick, dem sich niemand entziehen konnte. In diesem Augenblick waren sie alle Amerikaner, fühlten, daß sie zusammengehörten. Sie lebten in einem großartigen Land, dem besten der Welt. Sie waren angegriffen worden und hatten zurückgeschlagen. Am Ende würden sie gewinnen, davon war auch Martin überzeugt, und die Opfer würden nicht vergeblich gewesen sein.
Er dachte an seinen Vater, der jetzt allein im Dunkeln saß und die vielleicht letzte Zigarette seines Lebens rauchte. Ob er das Feuerwerk auch so gut hatte sehen können wie sie hier unten?
Plötzlich fiel ihm etwas ein, und er wurde unruhig. Der Anruf! Er hatte den Namen des Mannes nicht richtig verstanden, der seinen Vater am Telefon verlangt hatte – den Captain. Und er konnte sich auch nicht erinnern, wann sich das letzte Mal jemand von Dads Einheit bei ihnen gemeldet hätte. Dennoch hatte er den Eindruck gehabt, daß sein Vater den Anruf erwartet hatte. Was hatte er vor?
Er mußte zurück und nachsehen. Schnell.
»Gehen wir?«
Das Mädchen sah ihn an und nickte.
Schweigend bahnten sie sich den Weg durch die Menge, bis Lärm und Gelächter der Feiernden hinter ihnen zurückblieben. Das Feuerwerk war zwar zu Ende, aber in der Stadt waren immer noch einzelne Böller zu hören. Irgendwo heulte eine Sirene auf. Vielleicht hatte jemand seine Leuchtraketen als Tischfeuerwerk benutzt. Oder war es eine Polizeis i rene?
Martin sah zur Uhr: zehn Minuten vor zwölf. Er wußte nicht, was die beiden Männer am Telefon besprochen hatten, aber er hatte eine Ahnung. Er hätte nicht weggehen dürfen ...
»Du kannst nichts tun, Marty«, sagte das Mädchen, als sie sich vor dem schmiedeeisernen Tor der Santini-Villa trennten. »Gute Nacht.«
Sie küßten
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