Die Schatten des Mars
mechanisch, ohne ihn dabei anzusehen. Der Junge sagte nichts und hielt den Blick starr zu Boden gerichtet, bis er hörte, wie die Haustür hinter den beiden Männern ins Schloß fiel.
Martin atmete auf. Aus irgend einem Grund fühlte er sich erleichtert.
»Sie sind weg«, sagte er nach einer Weile. Niemand antwortete.
Sein Vater hatte die Augen geschlossen, vielleicht war er tatsächlich eingeschlafen. Mutter lief mit ausdrucksloser Miene zwischen Küche und Schlafzimmer hin und her, brachte Blumen, Mineralwasser und Fruchtsäfte, legte Taschentücher und Zellstoff zurecht und schien seine Anwesenheit nicht einmal zu bemerken. Martin konnte sehen, wie sich ihre Lippen bewegten, als führe sie stumme Selbstgespräche.
Hör endlich auf damit, dachte der Junge, nachdem er sie eine Weile beobachtet hatte. Das hältst du nicht durch ...
»Ich geh’ hoch!« verkündete er schließlich und erntete einen abweisenden Blick, der ihm endgültig klarmachte, daß er unerwünscht war.
»Schlaf gut, Dad«, murmelte Martin in Hinausgehen. Den Wunsch, der ihm auf den Lippen lag, ließ er unausgesprochen.
4. Juli. Noch nie hatte Martin seinem Geburtstag mit so widerstreitenden Gefühlen entgegengesehen wie diesmal. Doch bis jetzt war alles gut gegangen – mehr noch, er hatte sogar den Eindruck, daß sich seine Gäste ausgesprochen wohl fühlten.
Das lag zum einen am Wetter – es war ein strahlender Sommertag ohne eine Wolke am Himmel – zum anderen an dem Umstand, daß es seinem Vater ein wenig besser zu gehen schien.
Sie hatten gemeinsam auf der Terrasse zu Abend gegessen, Dad natürlich in seinem Rollstuhl, aber selbst das grenzte angesichts seines Zustands an ein Wunder. Der Anruf, den er am Vormittag erhalten hatte – irgend jemand aus seiner alten Einheit – schien seine Lebensgeister noch einmal geweckt zu haben, und jetzt sah es beinahe so aus, als wäre er auf dem Weg der Besserung.
Natürlich wußte Martin, daß das eine Illusion war. Der nächste Rückfall, der letzte vielleicht, würde kommen, und er konnte nur hoffen, daß ihnen bis dahin noch ein wenig Zeit blieb.
Obwohl Martin keinen runden Geburtstag feierte, waren Tante Liz und sein Patenonkel Douglas extra aus Manchester herübergekommen. Betty und Pete hatten sich wie üblich schon am Vorabend einquartiert, und Großmutter Claire ließ sich Veranstaltungen dieser Art ohnehin nicht entgehen.
Martin hatte Würstchen zum Abendessen gegrillt und danach Marshmallows, die reißenden Absatz gefunden hatten. Hauptabnehmer waren seine Schwester Betty und Anna gewesen, die zu seiner Verblüffung nicht genug von dem süßen Zeug bekommen konnte. Die beiden schienen sich auch sonst recht gut zu verstehen, was vermutlich darauf zurückzuführen war, daß Anna mehr zuhörte als sprach.
Martin verabscheute Familienfeiern, mußte aber zugeben, daß es bis jetzt keinen Mißklang gegeben hatte. Dabei waren ihm die neugierigen und abschätzenden Blicke keineswegs entgangen, mit denen die älteren Familienmitglieder das Mädchen an seiner Seite bedachten, aber es schien, als sei die Prüfung zufriedenstellend verlaufen. Onkel Doug hatte ihm jedenfalls aufmunternd zugezwinkert und etwas wie »nettes Mädchen« gemurmelt, als Martin die beiden nach dem Essen zu ihrem Wagen begleitet hatte. Wer Onkel Doug kannte, wußte das zu würdigen ...
Jetzt ging es bereits auf neun, und sein Vater schien noch immer nicht müde zu sein.
Anfangs war er noch zusammengezuckt, wenn irgendwo in der Nachbarschaft ein Böller gezündet wurde, aber mittlerweile schien er sich daran gewöhnt zu haben. Sein Glas war immer noch halbvoll, und er machte keinerlei Anstalten, sich zu Bett bringen zu lassen.
»Gute Nacht, Leute.« Bettys Stimme klang ein wenig unsicher, als sie schließlich aufstand, um sich zu verabschieden. »Entschuldigt uns, aber wir müssen morgen zeitig raus.«
»Ich nicht«, sagte Erik Lundgren, und es klang beinahe fröhlich. Martin sah seinen Vater verblüfft an. So gut gelaunt hatte er ihn lange nicht mehr erlebt. Doch es sollte noch besser kommen.
»Läßt du mir eine Zigarette da, Pete?«
Dem Angesprochenen klappte vor Überraschung beinahe die Kinnlade herunter, und auch der Rest der Gesellschaft sah einigermaßen fassungslos aus.
»Jetzt hör aber auf, Erik«, sagte Martins Mutter mit einem nervösen Lachen. »Das ist doch nicht dein Ernst.«
Erik Lundgren besaß nur noch Teile seines rechten Lungenflügels und hatte seit einer Ewigkeit nicht mehr
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