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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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war eine Chance, und sie hatte sie genutzt. Das Mädchen Lena aus dem Provinznest Melenki war gestorben, als ihre Maschine am Flughafen Pulkowo 2 abgehoben hatte. Sie hatte es zurückgelassen wie das Federkleid eines häßlichen Entleins, aus dem endlich ein Schwan werden sollte ...
    »Da vorn nach rechts auf den Parkplatz.« Sergejs Stimme klang vollkommen entspannt.
    »Sie müssen es ja wissen«, murmelte der Fahrer achselzuckend. Der Wagen wurde langsamer und bog schließlich im Schrittempo in die schmale Zufahrt ein.
    Der Parkplatz war kaum breiter als die Straße und mit Schlaglöchern übersät. Neben einer übervollen Mülltonne stapelte sich der Unrat. Der böige Wind trieb schmutzige Papierfetzen vor sich her. In der Nähe einer kleinen Baumgruppe parkten zwei Fahrzeuge: eine altmodische schwarze Limousine mit chromglänzenden Zierleisten und ein Jeep. Miliz. Die Polizisten rauchten und unterhielten sich mit dem Fahrer des anderen Autos. Der Mann trug einen schwarzen Feiertagsanzug und sah aus wie ein Leichenbestatter.
    »Ihre Leute scheinen in Schwierigkeiten zu sein«, bemerkte der Taxifahrer mit fragendem Unterton. Er wirkte besorgt.
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht«, erwiderte Sergej mit undurchdringlicher Miene. »Fahren Sie bitte rechts ran.«
    Der Wagen schaukelte über eine Bodenwelle nach rechts und kam schließlich zum Stehen. Die wartenden Männer hatten sie nun bemerkt. Die beiden Milizionäre traten ihre Zigaretten aus und stiegen in ihren Jeep. Der Leichenbestatter rückte seine Krawatte zurecht und steuerte auf sie zu.
    »Den Rest morgen«, sagte Sergej und reichte dem Fahrer etwas nach vorn. »Wir erwarten Sie um Punkt 13.00 Uhr. Seien Sie bitte pünktlich.«
    »Was soll das denn?« beschwerte sich der Mann und wedelte empört mit den Scheinhälften, die er bekommen hatte. »So war das aber nicht abgemacht!« Auf seinem Gesicht bildeten sich rote Flecken.
    »Den Rest morgen«, wiederholte Sergej freundlich. »Wenn Sie ein Problem damit haben, können wir gern die Staatsgewalt hinzuziehen.« Er deutete auf das Polizeifahrzeug.
    Der Fahrer murmelte etwas Unfreundliches, steckte die Scheine dann aber mit einem resignierten Achselzucken ein.
    »Also dann bis morgen.« Sergej stieg aus, lief auf die Beifahrerseite und riß mit großer Geste die Tür auf. »Darf ich Ihnen beim Aussteigen behilflich sein, Madame?«
    »Sie dürfen«, lächelte Lena und nahm seinen Arm.
    »Madame Romanowa?« Der Mann im schwarzen Anzug war herangekommen und starrte Lena mit so unverhohlenem Entzücken an, daß sie beinahe laut herausgeplatzt wäre. Er war groß, unheimlich groß, wie Lena fand, und unter dem teuren Wollstoff seines Anzugs wölbten sich die Muskeln. Aus der Nähe sah er nicht mehr wie ein Leichenbestatter aus, eher wie der Leibwächter eines Ölscheichs.
    Lena nickte und reichte dem Mann die Hand, die in der Pranke des Hünen beinahe verschwand.
    »Alexander Saizew«, strahlte der große Mann. »Sie können ruhig Sascha zu mir sagen ...wenn Sie das möchten, meine ich.«
    »Sascha ist ein guter Freund«, erklärte Sergej. »Er wird uns fahren.« Der große Mann nickte eifrig und griff nach den beiden Koffern, die der Taxifahrer mit mürrischer Miene aus dem Kofferraum gewuchtet hatte.
    Wieder überkam Lena ein Gefühl der Unwirklichkeit. Die Szene war zu grotesk, um real zu sein. Der abgelegene Parkplatz, Polizisten, die Funktionärskarosse, durchgeschnittene Dollarscheine und ein Fahrer, der aussah, als sei er einem Chandler-Krimi entsprungen. Dazu Sergej, der es fertiggebracht hatte, die Jahre zu einem Nichts zusammenschrumpfen zu lassen und sie an das Mädchen zu erinnern, das sie einst gewesen war. Vielleicht war es ja gar nicht sie selbst, sondern die Lena von damals gewesen, die sich zu dieser Dummheit hatte überreden lassen. Doch obwohl ihr die Absurdität der Situation durchaus bewußt war, freute sich ein Teil von ihr auf diese unverhoffte Rückkehr.
    »Ist das unsere Eskorte?« fragte sie mit unverhohlener Neugier und deutete auf das Milizfahrzeug.
    »Ja ... nur zur Sicherheit.« Sergejs Lächeln fiel ein wenig halbherzig aus. »Es ist eine ziemlich weite Strecke.«
    »Früher bin ich allein mit dem Bus gefahren und unterwegs noch zweimal umgestiegen.«
    »Damals gab es keine Straßensperren.«
    »Und heute?«
    »Muß man damit rechnen«, erwiderte Sergej ruhig.
    Sie stiegen ein, während der große Mann Lenas Koffer verstaute.
    Im Wagen roch es nach einem Blütenparfüm und ganz

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