Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
Vom Netzwerk:
Gedanken zu bringen. Die Situation war und blieb absurd: Sechs Sekunden vor der Landung hatte die Landefähre das letzte Bild gesendet und noch bis zum Aufsetzen Daten übertragen. Danach war der Funkkontakt abgebrochen. Maximal zwei Minuten und fünfzehn Sekunden später – das war der Zeitpunkt der ersten Kameraaufnahmen – war sie spurlos verschwunden!
    In den Jahren der Vorbereitung und während des achtmonatigen Flugs hatten sie alle nur denkbaren Szenarien durchgespielt, von der Überlastung des Hitzeschildes über den Ausfall der Steuerung bis hin zum Versagen der Bremsraketen. Sie kannten die Bedien- und Auslösemechanismen der Reservefallschirme und Havarie-Airbags und alle Varianten zur Reaktivierung lebenserhaltender Systeme. Sie wußten, was im Falle plötzlichen Druckverlusts zu tun war und wie sie dem Ausfall der Temperaturregelung begegnen konnten. Doch weder das Havarietraining noch die bis zum Überdruß absolvierten Notfall-Simulationen hatten John Edison auf eine Situation wie diese vorbereiten können.
    Zum ersten Mal seit Beginn der Mission war der erste Pilot und Navigator des Mars Exploration Teams ratlos. Und – was vielleicht noch schlimmer war – er begann an seinen Wahrnehmungen zu zweifeln. Eine Landefähre von acht Tonnen Gewicht konnte nicht einfach verschwinden, erst recht nicht auf einem Areal, dessen Bodenbeschaffenheit mehrfach überprüft worden war. Die Radarmessungen hatten bis zu einer Tiefe von 500 Metern keinerlei Besonderheiten erkennen lassen ...
    Etwas stimmte hier nicht – entweder mit den Geräten oder mit ihm selbst. In den Psychologieseminaren hatte man ihnen erklärt, wie Halluzinationen entstanden und daß sie für den Betroffenen nicht von der Realität zu unterscheiden waren. Allerdings hatte er noch nie davon gehört, daß man dabei etwas nicht sah, das in Wirklichkeit vorhanden war. Und was war mit der Korrelationsanalyse? So sehr sich John auch das Hirn zermarterte, ihm fiel keine auch nur annähernd plausible Lösung ein. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt. Dennoch mußte er etwas unternehmen.
    John Edison vergewisserte sich noch einmal, daß der Monitor tatsächlich Echtzeitbilder zeigte, dann aktivierte er das Kommunikationsterminal: »CEV an Pasadena Control Center«, meldete er sich mit mühsam beherrschter Stimme. »Wir haben ein Problem.«
     
    »Wo bin ich?«
    Der Mann erwartete keine Antwort und erhielt auch keine.
    Er war allein, auch wenn er sich nicht erinnern konnte, wie er an diesen verlorenen Ort gelangt war.
    Rotes Licht flutete vom roten Himmel auf rotes Land. Die Welt um ihn herum leuchtete wie das Abendrot vor einer stürmischen Nacht.
    Eher irritiert als erschrocken hatte der Mann festgestellt, daß er nicht einmal die Umrisse seines eigenen Körpers erkennen konnte. Dabei war er durchaus vorhanden, wie ihm seine tastenden Hände bestätigten. Offenbar überstrahlte das rote Licht alle anderen Farben. Daß er nackt war, kam dem Mann unter diesen Umständen weniger merkwürdig vor, auch wenn er sich aus einem Reflex heraus nach allen Seiten umsah.
    »Ist da jemand?« rief der Mann und lauschte dem dumpfen Klang seiner Worte nach.
    Niemand antwortete.
    Der Mann schloß die Augen und versuchte sich zu konzentrieren.
    Auch wenn er sich im Augenblick nicht erinnern konnte, irgendwie mußte er doch hierher gekommen sein. Er durchforschte sein Gedächtnis nach einem Anhaltspunkt, nach etwas, das gestern, vorgestern oder letzte Woche geschehen war. Nichts.
    Es ist gerade so, als wäre es nie gewesen.
    Kapitän Hollis in »Der illustrierte Mann«. Sein Langzeitgedächtnis war also noch intakt. Was fehlte, waren persönliche Erinnerungen. Der Mann wußte nicht einmal seinen Namen. Nicht, daß er ihn sehr vermißt hätte, aber befremdlich war die Tatsache schon. Ausgesprochen befremdlich.
    Im Augenblick benötigte er allerdings weniger seinen Namen als vielmehr einen Orientierungspunkt oder eine Idee, wohin er sich wenden sollte. Hatte es überhaupt Sinn weiterzugehen, wenn weder Weg noch Ziel erkennbar waren?
    Der Mann erwog die Alternativen und setzte sich in Bewegung. Die Tatsache, daß er den Boden unter seinen Füßen spüren konnte, minderte das Gefühl der Verlorenheit. Immerhin waren zwei Dinge real: der Boden und er selbst.
    Und wenn ich nun im Kreis laufe?
    Die Vorstellung war nicht beängstigender als die endlos rote Wüste vor ihm. Der Mann lief weiter und wunderte sich nur wenig darüber, daß er weder Hunger noch

Weitere Kostenlose Bücher