Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
Vom Netzwerk:
die kleine Holztreppe hinauf und trat durch die winzige Tür, die der Besitzer mit übertriebener Höflichkeit für ihn aufhielt. Erstaunt registrierte er, daß der Innenraum wesentlich geräumiger war, als er angesichts der Größe des Wägelchens angenommen hatte. Die Luft war stickig und roch nach heißem Metall und Kräutern. Auf einem kleinen Holztisch stand ein Petroleumkocher mit einer dampfenden Teekanne.
    Zwei grob gezimmerte Hocker, Teegläser und eine Keramikschale mit braunem Kandiszucker vervollständigten die spartanische Ausstattung des Wagens, der in der Hauptsache der Präsentation der regenbogenfarbenen Glaskugeln zu dienen schien.
    »Nimm Platz, amico mio«, forderte der Fremde Martin freundlich auf und rieb sich die Hände wie jemand, der aus großer Kälte an den heimischen Herd zurückgekehrt war. »Trink einen Schluck Tee mit mir, und dann unterhalten wir uns übers Geschäft.«
    »Was bedeuten all diese Kugeln hier?« fragte Martin neugierig. »Seifenblasen sind das bestimmt nicht.«
    »Das kommt auf den Standpunkt an, mein Freund«, entgegnete Francetti lächelnd, während er Tee einschenkte und Zucker dazugab. »Leute wie du halten Seifenblasen für etwas Vergängliches, weil sie nach ein paar Sekunden zerplatzen, während sie selbst im Durchschnitt achtzig Jahre alt werden. Ein Lebewesen, eine Mikrobe vielleicht, das nur ein paar Sekunden lang lebt, würde die Seifenblase als eine festen Bestandteil seiner Umwelt ansehen. Genauso ergeht es dir jetzt. Die Seifenblasen hier sind Teil eines anderen Universums und deshalb stabiler und langlebiger, als du dir vorstellen kannst.«
    »Und wie lange dauert es, bis sie zerplatzen?« erkundigte sich Martin beklommen.
    »Ein paar Sekunden oder hundert Jahre. Trinken wir auf die Vergänglichkeit«, erwiderte der Fremde ernst, »und auf das Leben.«
    Zögernd griff Martin nach dem Glas mit der goldbraunen, heißen Flüssigkeit und führte es vorsichtig zum Mund. Der Kräuterduft wurde stärker und mischte sich mit einem fremdartigen, leicht harzig erscheinenden Geruch, der ihn zunächst davon abhielt zu trinken.
    »Trink, mein Junge«, lächelte sein Gastgeber und nahm selbst einen kräftigen Schluck. »Es ist sozusagen ein Geschenk des Hauses.«
    Einen Augenblick lang glaubte Martin, ein merkwürdiges Glitzern in Francettis Augen wahrzunehmen, aber das konnte auch ein Lichtreflex gewesen sein.
    Vorsichtig kostete er von der dampfenden Flüssigkeit, deren herb-würziges Aroma ihn an exotische Früchte denken ließ. Kaum hatte Martin sein Glas abgesetzt, verspürte er das Verlangen nach mehr, so daß er kaum der Versuchung widerstehen konnte, den Rest des Getränks auf einen Zug auszutrinken. Dankbar genoß er die Wärme, die sich vom Magen her in seinem Körper ausbreitete.
    Aber war das wirklich nur Wärme?
    Das zufriedene Lächeln seines Gastgebers beunruhigte Martin mehr als das angenehme Schwindelgefühl, das seinen Körper leichter, beinahe schwerelos erscheinen ließ. Vielleicht war das Getränk doch mit Alkohol versetzt gewesen, auch wenn er nichts davon geschmeckt hatte.
    Irgend etwas hatte sich verändert, veränderte sich noch immer. Die regenbogenfarbenen Kugeln wurden durchsichtig und verschwanden, selbst die Holzwände um ihn herum verloren ihre Konturen, wurden transparent und gaben schließlich den Blick auf eine völlig veränderte Landschaft frei.
    Eine Flut von Farben, Tönen und Gerüchen stürzte auf Martins Sinne ein und löschte innerhalb von Sekunden jeden Gedanken an die rote Wüstenlandschaft und den geheimnisvollen Fremden aus.
    Martin saß vor einem kleinen Café, knapp fünfzig Meter oberhalb des Strandes, und genoß den Blick auf das Meer. Kinder warfen sich kreischend in den Gischt der träge heranrollenden Wellen und ließen sich in Richtung Ufer tragen. Eine Dreimastbark glitt mit geblähten Segeln vorbei, gefolgt von einem Schwarm lärmender Möwen. Es roch nach Tang und den blühenden Sträuchern, die rings um das kleine Anwesen der Sonne entgegenwucherten.
    Das Bier war wunderbar kühl. Es machte Spaß, mit dem Finger über die beschlagene Oberfläche des Glases zu fahren. Im Vorgarten legte der Koch die ersten Fleischspieße auf den Holzkohlengrill.
    Am Nachbartisch saß eine junge Frau vor ihrem Capuccino und las. Das straff nach hinten gekämmte und zu einem Knoten gebundene Haar verlieh ihrem gebräunten Gesicht eine strenge Note, die in reizvollem Gegensatz zu den weichen Schwüngen ihrer dunkel geschminkten

Weitere Kostenlose Bücher