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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Rodman, 45 Jahre alt, Wertpapierhändler auf seiner morgendlichen Trainingsrunde«, erklärte der Fremde nachsichtig lächelnd. »Die Kriminalität ist in diesem New Yorker Stadtteil erfreulich gering, so daß die Tour durch den Park kein ernsthaftes Risiko darstellt.«
    »New York?« erkundigte sich Martin ungläubig. »Ich sehe nur einen nackten Zwerg, den jemand in eine Plastikkugel gesperrt hat.«
    »Das liegt daran, daß es kein New York gibt, keinen Stadtpark und nicht einmal den teuren Laufanzug, den unser Freund üblicherweise bei seinen Trainingseinheiten trägt.«
    »Dieser Kerl rennt nackt in einer Kugel herum und merkt es nicht einmal?«
    »So ist es«, bestätigte Francelli zufrieden. »Aber du solltest ihn erst einmal erleben, wenn er sich daranmacht, seine imaginäre Gattin mit seinem ebenso imaginären Hausmädchen zu betrügen. Ein Bild für die Götter, kann ich dir sagen. Leider findet diese Übung erst in etwa zwei Stunden Rodmanscher Zeit statt.«
    »Rodmanscher Zeit?«
    »Ja, natürlich. Wenn weder die Stadt noch Rodmans Villa samt Hausmädchen existieren, weshalb sollte dann die von ihm wahrgenommene Zeit real sein? All diese Dinge existieren ausschließlich im Bewußtsein unseres Freundes. Was ihm nichts auszumachen scheint, oder?« Der amüsierte Unterton in der Stimme des Fremden ließ allerdings den Schluß zu, daß ihm die Befindlichkeiten des eingesperrten Zwerges herzlich gleichgültig waren.
    Martin hatte das seltsame Ausstellungsstück mittlerweile wieder an seinen Platz gestellt und machte sich mit leicht abwesenden Gesichtsausdruck daran, das Innere der benachbarten Kugeln zu erkunden. Die Erklärung Francettis hatte er zwar zur Kenntnis genommen, weigerte sich aber instinktiv, ihr Glauben zu schenken.
    Fasziniert beobachtete er das seltsame Gebaren der zwergenhaften Wesen im Inneren der regenbogenfarbenen Kugeln und fragte sich, mit welchen Tricks Francetti die Illusion ihrer Lebendigkeit erzeugt hatte. Er sah nackte Kinder, die mit selbstvergessener Miene unsichtbare Bälle in unsichtbare Basketballkörbe schleuderten, Männer, die mit starrem Blick auf unsichtbare Computertastaturen einhieben und Frauen, die unsichtbaren Babys die Brust gaben, bevor sie sie in ebenso unsichtbaren Windeln verstauten. Er sah andere Frauen, jüngere und ältere, die sich imaginären Liebhabern hingaben, und Männer, die sich betranken und danach mit unsichtbaren Rivalen prügelten, bis sie aus Mund und Nase bluteten.
    Die ganze Zeit über spürte Martin den forschenden Blick Francettis auf seinem Gesicht ruhen, so daß er sich schließlich umwandte und ihn zur Rede stellte: »Dann bilden sich diese Leute das Blut und ihre Schmerzen wohl auch nur ein?! Und was soll dieses alberne Puppentheater überhaupt?«
    »Ich hatte gehofft, daß du ein wenig schneller begreifst, Martin Lundgren«, erwiderte der Fremde nachsichtig. »In Wahrheit befindet sich in all diesen Seifenblasen nichts, das du wahrnehmen könntest. Was ich deutlich machen wollte, war, daß sich in jeder dieser Kugeln ein menschliches Bewußtsein befindet, das mit ihr entsteht und vergeht. Hättest du mir das ohne diesen kleinen Kunstgriff geglaubt?«
    »Ich glaube Ihnen auch so kein Wort«, versetzte Martin störrisch und schrak zusammen, als unmittelbar vor ihm eine große schillernde Kugel mit einem dumpfen Geräusch zerbarst, ohne die geringste Spur zurückzulassen.
    »Rafael Molinos, 23 Jahre alt, CET-Dealer und auch sonst ein ziemlich unangenehmer Bursche«, erklärte Francelli gelassen. »Dieses Mal hat er sich allerdings mit den falschen Leuten angelegt. – Aber wir kommen vom Thema ab. Eigentlich wollte ich dir nur klarmachen, was es mit den ›Seifenblasen‹ auf sich hat. Der Außenstehende mag vielleicht den Eindruck haben, daß es auf eine mehr oder weniger nicht ankommt, aber ich versichere dir, daß dem leider nicht so ist. Tatsache ist, daß ein neues Leben nur im Tausch gegen ein anderes, vor der Zeit beendetes, zu haben ist. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ich muß also jemanden umbringen«, murmelte Martin heiser, »wenn ich zurück will.«
    »Das ist eine ebenso emotionale wie unzutreffende Sicht der Dinge«, korrigierte ihn der Fremde nachsichtig und zog ein schmales Stilett aus seinem Gürtel. Lichtreflexe tanzten wie glühende Funken über die geschliffene Klinge. »Du ersetzt den Traum eines Fremden durch deinen eigenen, daran ist nichts Verwerfliches. Und ich versichere dir, daß dein Traum ein Leben lang währen

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