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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Wesen liegt.«
    Allmählich wurde der schmale Leuchtstreifen am jenseitigen Ufer heller, aber noch lag die Stadt hinter dichten Nebelschwaden verborgen.
    Sadaika, dachte Martin mit klopfendem Herzen, während sie sich dem in Dunst gehüllten Lichtermeer näherten, dessen gewaltige Ausmaße erst allmählich offenbar wurden.
    »Wir fahren nicht weiter heran«, verkündete die maskierte Gestalt im Heck des Schiffes. Ihre Stimme klang verändert, nicht mehr so selbstbewußt, und es schien fast, als schwinge darin so etwas wie Besorgnis mit.
    Die Stadt schien zum Greifen nah. Jeden Augenblick konnte der Dunstschleier aufreißen, aber es geschah nicht. Langsam, beinahe unmerklich trieben sie an der leuchtenden Nebelwand vorbei. Manchmal glaubte Martin, ferne Musik zu hören, doch die Töne erstarben, bevor sie sich zu einer Melodie verbinden konnten. Dann war nur noch das Knistern der Fackel zu hören und das leise, kaum wahrnehmbare Plätschern, mit dem das Boot durch das Wasser glitt.
    Traurig beobachtete Martin, wie die schimmernden Lichter hinter ihnen zurückblieben und allmählich in der Dunkelheit versanken. Sie segelten jetzt parallel zum Ufer stromabwärts, und obwohl beide Ufer im Dunkel lagen, hatte er den Eindruck, daß sie schneller wurden. Da der Wind nach wie vor nur schwach wehte, mußte die Strömung stärker geworden sein. Viel stärker, wie Martin angesichts des flauen Gefühls annahm, das sich in seiner Magengegend ausbreitete.
    »Eine Stromschnelle«, bestätigte die Stimme seines Gastgebers, »kein Grund zu Beunruhigung.«
    Der Junge stand noch immer aufrecht im Heck des Bootes und schien nicht im mindesten besorgt. Martin fragte sich dennoch, was wohl geschehen würde, sollten sie bei dieser Geschwindigkeit abgetrieben werden und gegen ein Hindernis stoßen. Es war nach wie vor stockdunkel um sie herum, und das Licht der Fackel vermochte nicht einmal den Innenraum des Bootes vollständig auszuleuchten. Er versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß sein Gastgeber den Weg gewiß nicht zum ersten Mal zurücklegte, aber das flaue Gefühl in der Magengegend blieb.
    »Wir sind gleich durch«, ließ sich der Junge erneut vernehmen.
    Was meint er mit »durch«? dachte Martin verwirrt.
    Zuerst hielt er den schwachen seitlichen Lichtschimmer für eine Sinnestäuschung, doch dann begriff er, daß es der Widerschein des Fackellichts an den in unmittelbarer Nähe vorbeihuschenden Uferwänden war, und zuckte erschrocken zusammen. Innerhalb kürzester Zeit mußte sich das weitläufige Flußtal in einen engen Cañon verwandelt haben. Daß auch das ein Irrtum war, wurde ihm in dem Augenblick klar, als der zuckenden Lichtschein auch die Decke des unterirdischen Ganges erreichte, in dem das Wasser mit hoher Geschwindigkeit stromabwärts schoß. Daß dies in fast vollkommener Dunkelheit und vollkommen lautlos geschah, machte die rasende Bootsfahrt noch unheimlicher und trieb Martin den Angstschweiß auf die Stirn. Seine Hände krampften sich so fest um die Kante der Bordwand, daß die Knöchel weiß hervortraten. Unfähig, sich zu rühren, beobachtete er, wie sich die Höhlendecke weiter senkte, bis sie fast die Mastspitze erreicht hatte. Schon glaubte er, das Geräusch berstenden Holzes zu hören, da wichen die Felswände plötzlich zurück. Das Boot verlor so rasch an Geschwindigkeit, als wäre es gegen eine unsichtbare Gummiwand geprallt. Martin spürte Übelkeit aufsteigen und kämpfte gegen den Drang, sich zu übergeben. Während seiner Ausbildung war er zwar weitaus höheren Bremsbeschleunigungen ausgesetzt gewesen, aber nie hatten sie ihn so unvorbereitet getroffen wie jetzt ...
    Erst als das Boot zum Stillstand gekommen war und der Druck auf seinen Magen ein wenig nachgelassen hatte, wagte es Martin, den Blick zu heben. Die Fackel im Heck des Bootes brannte nach wie vor, aber der Platz, an dem eben noch der Junge gestanden hatte, war leer. Obwohl die Möglichkeit im Grunde nicht auszuschließen war, glaubte Martin keinen Augenblick daran, daß er tatsächlich über Bord gegangen war. Für sein Verschwinden gab es nur eine plausible Erklärung: Er war am Ziel.
    »Es ist ein See, tief unter den Felsen der Valles«, hatte der brennende Mann gesagt. Die schwarz schimmernde Wasserfläche, auf der das Boot jetzt steuerlos dahintrieb, konnte durchaus dieser See sein, auch wenn die Dunkelheit seine Ufer verbarg. Es herrschte vollkommene Windstille, die Segel hingen schlaff herunter. Vorsichtig tastete sich

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