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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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murmelte Marie. «Schrecklich.»
    Es war eine Farce. Ich hoffte nur, dass diese distanzierte Begrüßung dreier ehemals bester Freundinnen nach mehr als zwei Jahrzehnten im Trubel des Saals niemandem auffiel.
    «Schrecklich, das mit Dorit. Ganz, ganz schrecklich!», pflichtete Mirko Marie bei. Es klang unaufrichtig.
    Bevor das plötzlich eintretende Schweigen zwischen uns noch unangenehmer werden konnte, kam ein graumelierter Mann an unseren Tisch. «Gut gemacht, Fabienne», sagte er und schüttelte ihr die Hand. «Klug und einfühlsam, meine Hochachtung. Ich habe die Berichte über Sie in den Zeitungen verfolgt. Sie haben ja wirklich etwas erreicht.»
    Wolff hatte sich gut gehalten, mit seinem vollen, dunklen Haar, und tatsächlich machten die Falten sein markantes Gesicht nur noch attraktiver. Damals war er dreißig und unser Deutschlehrer gewesen. Sehr locker, sehr modern und stets ein wenig auf der Jagd. Es hatte Klatsch um ihn gegeben, immer wieder. Über den Gitarrenunterricht, den er älteren Schülerinnen privat gab. Über die Arbeitsabende mit der jungen Referendarin. Über die Partys in seinem Haus, dessen Fenster als einzige in Beerenbök nicht durch Gardinen verhüllt waren.
    «Vielen Dank, Herr Wolff.» Fabienne entzog ihm ihre Hand und wies auf Marie und mich. «Erinnern Sie sich noch?»
    Mirko fühlte sich ins Abseits gestellt und versuchte dazwischenzugrätschen. «Na, Bernd? Ging’s noch lange, neulich, beim Schützenfest?»
    Wolff nickte kurz und wandte sich Marie und mir zu. «Mein Beileid», meinte er, «Sie waren ja beste Freundinnen damals, wenn ich mich recht erinnere …»
    Marie sorgte dafür, dass eine freundliche, mitfühlende Unterhaltung über Dorit in Gang kam, und lenkte dann geschickt über zu unseren alten Lehrern und Schulkameraden. Sie wirkte locker und souverän, und ich war erschüttert über meine mangelnde Menschenkenntnis. In meinem Roman war die mausgraue Marie von damals zu einer trägen Hausfrau mutiert, deren Angst vor Konflikten sie nichts mehr lieben ließ als den Schlaf.
    Wolff lächelte sie offensiv an. Während er berichtete, dass er immer noch an unserem alten Gymnasium unterrichtete, ließ er seine Augen nicht von Marie. Er ignorierte mich so vollständig, dass es auffällig war. Ich forschte schnell nach einem Grund dafür in der Vergangenheit, aber mir fiel keiner ein.
    Mittlerweile war die Unterhaltung bei unseren Mitschülern von einst gelandet. Wolff sah sich suchend um, winkte einen großen, schlanken Mann mit einem freundlichen Gesicht herbei und stellte ihn vor: «Erinnert ihr euch an Peer? Er lebt jetzt auf Island.»
    Peer? Ich erinnerte mich nicht im Geringsten und verfluchte meine Unfähigkeit, mir Namen und Gesichter zu merken. Während Marie und Peer sich herzlich begrüßten, beugte Fabienne sich zu mir rüber.
    «Erstens», flüsterte sie mir ins Ohr, «ist dein Buch eine unglaubliche Geschmacklosigkeit. Und zweitens ist das da der kleine Pfadfinder, der mit den kurzen Hosen auch im Winter. Er ist gewachsen, verstehst du?»
    Ich war so unglaublich froh, dass Fabienne endlich mit mir sprach. Wie und was auch immer. Sie würde mir helfen, diese Geschichte zu klären.
    Es stellte sich heraus, dass Peer Konditor geworden war und die Isländer Torten liebten. Er besaß eine gutlaufende Konditorei in Reykjavik.
    «Aber die Sommer da sind eisig», erklärte er. «Also bin ich jeden Juli und August hier. Meine Eltern haben immer noch diese Hütte am Grotensee. Da wohne ich dann.»
    Jetzt erinnerte ich mich. Ein-, zweimal hatten wir bei Peer gefeiert, am Seeufer. Er hatte zwar nicht zur Clique der coolen Jungs gehört, aber die Hütte wog das auf, und außerdem hatte Dorit damals eine Schwäche für ihn gehabt. Er war freundlich und zurückhaltend gewesen und niemals in der Lage, einem Mädchen in die Augen zu sehen. Es war keinerlei Gefahr von ihm ausgegangen, und das Risiko, von ihm abgelehnt zu werden, lag bei unter null.
    «Und?», fragte Marie ihn freundlich. «Hattest du noch Kontakt zu Dorit?»
    Peer lächelte bedauernd. «Nein, eigentlich nicht. Wir haben uns zwei-, dreimal getroffen, am Grotensee, aber das war Zufall.»
    Fabienne wurde aufmerksam. «Ach, wirklich? Und was hat sie so erzählt?»
    «Wir haben nicht viel miteinander geredet.» Peer wandte sich an Mirko. «Aber du hast sie doch ab und zu getroffen, oder nicht? Und zwar nicht ganz zufällig.»
    «Na und? Ich treffe einige Frauen, ab und zu», meinte Mirko unwirsch.
    Marie hob die

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