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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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Hiltrud es machte. In der nächsten Sekunde ging die Tür auf, und er schwang sich vom Fahrersitz. Er musterte mich auf eine Weise, die mir bewusst werden ließ, dass ich mit nackten Beinen und ohne Schuhe vor ihm stand, die Bluse so durchgeschwitzt, dass sich darunter mein BH allzu deutlich abzeichnete. Dann grinste er und beugte sich leicht ächzend zum demolierten Kotflügel hinunter.
    «Ganze Arbeit, meine Liebe», sagte er und zerrte mit seinen Pranken ebenfalls ergebnislos an dem verbeulten Blech herum.
    «Ja», antwortete ich. «Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte.»
    «Das ist die Hitze», meinte Mirko gutmütig und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Er richtete sich wieder auf, wobei er noch ein bisschen lauter ächzte. «Da hilft nix. Der muss in die Werkstatt, und ’nen neuen Reifen brauchst du auch», sagte er.
    Ich biss mir vor Ärger auf die Unterlippe. «Jetzt ist Wochenende …»
    Mirko winkte lässig ab. «Ich kenn hier genug Leute, die das wieder hinkriegen. Spätestens morgen Mittag läuft der wieder.»
    «Erst morgen?»
    Mirko lachte dröhnend. «Passt doch wunderbar», sagte er. «Lad du mal deine Sachen in meinen Wagen. Ich fahr dich zu deiner Tante, du brezelst dich auf, und wir sehen uns bei Wolff auf der Party. Danach kannst du sowieso nicht mehr Auto fahren …» Er machte eine Handbewegung, als würde er sich einen Schnaps hinter die Binde kippen, und lachte noch einmal. «Schicksal, Fabienne! Heute kommst du nicht mehr weg aus Beerenbök.»
    Ich atmete tief durch, holte meine Reisetasche aus dem Wagen, warf sie auf die Rückbank des Geländewagens und nahm neben dem nach Schweiß riechenden Mirko auf dem Beifahrersitz Platz.
    Ja, Schicksal. Vielleicht war das alles hier Schicksal, auch wenn das theologisch ein sehr fragwürdiger Begriff ist. Dorits Tod, die Beerdigung, die Begegnung mit Hanna und Marie, selbst Hannas elendes Buch. Vielleicht konnte niemand von uns irgendetwas für das, was hier in Beerenbök passierte, weder Gott noch der Teufel. Vielleicht war all das einfach nur Schicksal, was immer das auch bedeuten mochte.
    Mirko rieb sich erfreut die Hände. «Das wird nett, euch drei mal wieder auf einem Haufen zu sehen. Schade nur, dass die gute Dorit nicht dabei sein kann …»
    «Fahr los, Mirko», sagte ich müde, «ehe ich es mir anders überlege und mir ein Taxi nach Hause nehme. Fahr einfach nur los.»

[zur Inhaltsübersicht]
    HANNA
    Nachdem Fabienne losgefahren war, hatten Marie und ich auf der Beerdigungsfeier noch etwas durchgehalten. Aber wir hatten keine Gelegenheit mehr gehabt, alleine miteinander zu sprechen. Wolff nahm Marie so vollkommen in Beschlag, dass ich bald beschloss, ins Hotel zurückzufahren und mich noch ein bisschen hinzulegen. Ich versuchte, mich unauffällig zu verhalten, als ich ging, aber ich hatte keine Chance. Kurz bevor ich den Ausgang erreichte, umzingelten mich vier Frauen, zogen mich zu ihrem Tisch und zwangen mich auf einen Stuhl.
    «Du kennst uns nicht mehr», stellte ihre Anführerin sachlich fest, und da hatte sie vollkommen recht. «Wir waren in der Klasse unter dir! Damals warst du nicht gerade nett zu uns.»
    «Oh», sagte ich hilflos. «Tut mir leid.»
    «Macht nichts», meinte die pummelige Blondine neben mir, kramte in ihrer Handtasche und knallte mein Buch auf den Tisch. «Jetzt wollen wir alles wissen! Die ganze Wahrheit!»
    Die Hagere ihr gegenüber kicherte. «Genau! Die nackte Wahrheit!»
    Wie immer, wenn ich in Panik geriet, machte sich in meinem Kopf ein Dröhnen breit. Es ließ den unerträglichen Geräuschpegel im Saal in weite Ferne rücken, während die vier mich mit gespannten Blicken durchbohrten und ich wie gelähmt zurückstarrte.
    Hatte ich doch nicht sorgfältig genug gearbeitet? Hatte diese Hausfrauen-Gang an langen Nachmittagen mit Kaffee und Likör mein Buch seziert und detektivisch jedes Fundstück auf mögliche Vorbilder der Realität hin geprüft?
    Die Pummelige sprach weiter, ich sah sie ihren Mund öffnen und schließen, und ihre hagere Tischnachbarin eifrig dazu nicken. Schließlich packte die Pummelige meinen Arm und zog mich mit einem heftigen Ruck zu sich.
    «Jetzt sag schon! Wir haben dich doch gesehen. Das Foto in der Zeitung. Du und dieser Schauspieler, wie hieß der noch gleich? Wie ist der denn so, so privat?»
    Das Dröhnen in meinem Kopf wich von einer Sekunde zur nächsten dem Gefühl unendlicher Erleichterung.
    «Ich habe nicht mit ihm gesprochen», ächzte ich.

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