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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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sein, mich um Christian zu kümmern.

[zur Inhaltsübersicht]
    HANNA
    «Einen richtig guten Plan machen wir», hatte ich Marie gesagt. Nur hatte ich nicht die geringste Ahnung, was für ein Plan das sein sollte.
    Noch auf dem Weg zum Hotel rief ich Christian auf dem Handy an.
    «Es tut mir wahnsinnig leid», sagte ich und meinte es aufrichtig. «Ich kann heute Abend nicht mit zum Konzert.»
    «Wie schade! Wirklich schade …»
    Seine Stimme war warm und dunkel. Das war mir bislang gar nicht aufgefallen. Er hatte so jungenhaft auf mich gewirkt, als ich ihm in den letzten Tagen begegnet war. Er tat mir gut, merkte ich überrascht, und auf einmal wurde mir bewusst, wie blank meine Nerven lagen. Wie sehr hatte ich darauf gehofft, dass Fabienne alles ruhig und klar in die Hand nehmen und aufklären würde. Nicht nur Dorits Tod.
    «Hallo», sagte Christian. «Bist du noch dran?»
    Ich riss mich zusammen. «Ich muss mich mit Marie treffen», erklärte ich. «Es ist wichtig.»
    «Was ist los?», forschte er.
    Was sollte ich antworten? Dass ich auf Rettung durch eine alte Freundin gehofft hatte, die offenbar nicht mit mir sprechen wollte?
    «Marie ist völlig durch den Wind. Sie braucht mich einfach», log ich und fühlte mich mies dabei.
    «Verstehe», sagte er.
    «Danke», antwortete ich hastig. «Ich muss jetzt auflegen. Man darf nicht telefonieren beim Fahren, weißt du?»
    Er lachte. «Wir sehen uns noch, oder?»
    «Bestimmt.»

    Einige Stunden später, im Haus von Maries Mutter, stellte ich fest, dass man dort noch immer vom Boden hätte essen können. Es war wie damals. Die Räume waren blitzblank und steril aufgeräumt wie in einer Möbelausstellung. Ich war erleichtert, als Marie mich über die Terrasse mit den schweren, gusseisernen Gartenmöbeln auf den kurzgemähten Rasen führte. Sie hatte ein Picknick vorbereitet, auf einer Decke bei der großen Weide, unter der wir früher oft gesessen hatten. Ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und sah gierig auf die liebevoll zubereiteten Sandwiches.
    «Perfekt!», seufzte ich dankbar.
    «Meinst du das ironisch?», fragte sie skeptisch.
    «Nein», wehrte ich ab. «Marie, bitte!»
    Wir legten uns auf die Decke. Marie schenkte Wein ein und hob ihr Glas. «Auf uns», sagte sie.
    «Ja, auf uns.»
    Marie nahm zwei große Schlucke, als ob sie sich Mut antrinken wollte, während ich gierig ein Sandwich verschlang.
    «Und?», fragte sie mich.
    «Erst du! Nun sag schon: Wie war’s mit Wolff? Ist er gut?»
    «Hanna, bitte!»
    «Los jetzt!», beharrte ich.
    Sie seufzte. «Es war okay.»
    «Wie,
okay

    Sie schlug so energisch mit der flachen Hand auf den Rasen, dass ich überrascht zusammenfuhr.
    «Wir hatten Sex. Und ich will nicht drüber reden, verstanden?»
    Ich verdrehte die Augen. Unglaublich. Wie verklemmt konnte eine erwachsene Frau eigentlich sein.
    «Ist mir egal, ob du mich für spießig hältst», bemerkte sie trotzig.
    Einen kurzen Moment lang drohte das Gespräch zu entgleisen. Aber dieses Mal war ich die Vernünftige. Ich wollte keinen Streit, ich wollte über Fabienne reden.
    «Ich halte dich nicht für spießig», sagte ich also mit aller Überzeugungskraft, die ich aufbrachte. «Ehrlich nicht.»
    Sie atmete durch und lächelte scheinbar besänftigt. Wie früher schien sie jede Freundlichkeit von mir als Geschenk zu nehmen.
    «Also», sagte ich. «Was machen wir mit Fabienne?»
    «Gleich», sagte sie und senkte ihre Stimme, als ob Gefahr bestünde, dass man uns belauschte. «Ich hab was gesehen bei Wolff.»
    Die Geschichte, die sie mir anschließend erzählte, beeindruckte mich nicht sonderlich.
    «Ja, mein Gott, Pornographie», sagte ich. «Haben wir nicht alle unsere schmutzigen Phantasien? Ich finde das ja fast schon rührend, dass er sich da was malt. Hat er kein Internet?»
    «Du findest das normal? Pornographie?»
    Ich zuckte mit den Schultern. «Ja.»
    «Aber wenn er nun Vorbilder dafür hatte? Modelle? Seine Schülerinnen?»
    Das war allerdings eine Überlegung wert.
    «Vielleicht sollte ich es Christian erzählen», meinte Marie. «Wenn Wolff nun was mit Dorit hatte und sie ihn wegen dieser Bilder erpressen wollte …»
    «Dorit war hysterisch», sinnierte ich. «Immer hysterisch. Trotzdem schwer vorstellbar, dass sie es so weit getrieben hat, dass er durchgedreht ist, oder?»
    Wir schwiegen nachdenklich. Nur die Grillen zirpten noch im Garten. Die Beerenböker hatten sich längst in ihre Häuser zurückgezogen. Weiß der Himmel, was sie

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