Die Schatten eines Sommers
wo und wann. Und so legte ich mich aufs Bett, schloss die Augen und konzentrierte mich auf den Text meiner Kolumne, den ich in der nächsten Woche abliefern musste. Die Redaktion hatte ein paar Gedanken über den Segen des sommerlichen Faulenzens haben wollen, etwas, worin ich nicht unbedingt Expertin bin. Aber als meine Tante hustend und ächzend ins Bett ging, hatte ich den Text in Gedanken so gut wie fertig. Ich würde ihn aufschreiben, sobald ich zu Hause am Computer saß.
Tante Hiltrud war gut ausgerüstet, genau, wie ich es erwartet hatte. Im Schuppen fand ich alles, was ich brauchte – auch einen Packen Altpapier und eine alte Tasche, in die ich das Papier hineinstopfen konnte. Ich zog den Gartenkittel meiner Tante über und verstaute alles auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads.
Es war, wie ich es mir vorgestellt hatte: Als ich durch Beerenbök fuhr, war der Ort wie ausgestorben. Selbst die Hunde schliefen. Nur eine schwarze Katze lief mir über den Weg, und obwohl ich weiß Gott nicht abergläubisch bin, packte mich eine leichte Unruhe. Würde mich wirklich niemand sehen? Ich hatte den Kragen des Kittels bis zum Kinn hochgeschlagen. Selbst wenn jemand noch aus dem Fenster schaute, würde er mich sicherlich nicht erkennen. Aber trotzdem ließ mich die Nervosität nicht mehr los.
Ich atmete schwer, als ich vor der alten Post von Beerenbök ankam, die schon vor Jahren geschlossen worden war. Die Fenster waren dunkel, nirgendwo brannte ein Licht. Das schöne alte Haus war heruntergekommen, der Garten verwildert. Ich musste durch kniehohes, verdorrtes Gras waten, um in den hinteren Teil des Gartens zu gelangen, der von der Straße her nicht einsehbar war.
Ich schob das Rad in den Schatten an der Rückwand des Hauses, holte die Zeitungen aus der Tasche – und zuckte zusammen. Ich hatte kein Feuerzeug mitgenommen, keine Streichhölzer! Wie hatte das passieren können?! Es musste die Hitze gewesen sein, dieses verdammte Beerenbök, Hanna mit ihrer Aufdringlichkeit … Alles das hatte mich um meine gewohnte Gewissenhaftigkeit gebracht. Es war keine Zeit mehr, zurückzufahren, um Feuer zu holen. Ach verdammt, die schwarze Katze war schuld!
Vielleicht war die Terrassentür nicht abgeschlossen? Auf dem Land hatte man doch noch Vertrauen in seine Mitmenschen, oder nicht? Ich hastete die vier bröckeligen Stufen zur Terrasse hoch, strauchelte und hielt mich an dem schmiedeeisernen Geländer fest. Ich hatte Glück! Auf dem Holztisch standen ein Windlicht und ein Weinglas. Und daneben lag ein Feuerzeug! Ich atmete tief durch. Alles war gut. Alles lief nach Plan.
Jetzt ging es schnell. Ich wischte mit dem Ärmel des Kittels über das Geländer, holte meine Tasche, trug sie in den Garten, zog die alten Zeitungen heraus und knüllte sie zu einem lockeren Haufen, auf den ich ein paar Zweige und trockenes Gras warf. Ich weiß, wie man ein Feuer entfacht. Normalerweise, wenn ich meine Gartenabfälle verbrenne, nehme ich kein Benzin, sondern warte ab, bis sich das Feuer langsam seine Nahrung holt, um schließlich lodernd zu brennen. Aber so viel Zeit hatte ich nicht, und so nahm ich den Benzinkanister aus Tante Hiltruds Schuppen vom Gepäckträger, schüttete die Hälfte des Benzins über das Gras und rollte die letzte Zeitung zu einer Fackel zusammen.
Es dauerte keine fünf Sekunden, dann schossen die Flammen in die Höhe. Sollte ich warten, um zu sehen, wie sich das Feuer ausbreitete? Gab es irgendeine fatale Chance, dass es erlosch, bevor alles verbrannt war? Nein, unmöglich. Ich nahm die Tasche vom Boden, warf noch zwei, drei dürre Zweige ins Feuer, drehte mich um und ging zum Rad zurück. Es gab nicht mehr viel zu tun. Ich würde zu Tante Hiltrud fahren, den Kanister zurückstellen und darauf warten, dass es Morgen wurde. Der Morgen, an dem ich nach Hause zurückfahren würde, in mein geordnetes Leben, wo Aufgaben auf mich warteten, die nichts, absolut nichts mit Beerenbök zu tun hatten.
Alles war gut.
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HANNA
Unglaublich, wie warm es so spät noch war. Und immer noch lag etwas Helligkeit über dem Garten, obwohl es langsam auf Mitternacht zuging.
«Wie im Süden», murmelte Marie.
Wir waren nicht weitergekommen, mit unseren Grübeleien über Fabienne. Nun lagen wir nebeneinander auf dem Rücken und schauten in den Sternenhimmel – ein angenehmes, trunkenes Schweigen zwischen uns.
«Bereust du das jetzt?», fragte ich Marie irgendwann. «Das mit Wolff?»
«Ja», sagte sie. «Aber ich
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