Die Schatten eines Sommers
schüttelte energisch den Kopf. «Das war kein Zufall! Das war Brandstiftung. Spuren vernichten!»
«Aber wer sollte denn …?» Ich sah Hanna an, ihre Augen blitzten, ihr rötliches Haar leuchtete im Schein des Feuers, und für einen Moment sah sie aus wie eine Hexe. Nein, das konnte einfach nicht wahr sein! Das alles hier war ein böser Traum. Aber er war noch nicht zu Ende. Denn während ich endlich in der Ferne die Sirenen der herannahenden Löschfahrzeuge hörte, sah ich etwas silbrig Glänzendes am Boden liegen. Eine Sekunde nur hatte der Schein des Feuers meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Hunderte Male habe ich mich seitdem verflucht, dass ich nicht einfach darüber hinweggesehen habe, dass ich das, was da im Gras lag, nicht vergaß, und schnellstens das Weite suchte. Aber nein, ich hatte mich gebückt, meinen Fund neugierig betrachtet und nach Luft geschnappt. Es war ein kleiner silberner Anhänger in Form eines stilisierten Fisches.
Plötzlich stand Hanna neben mir. «Woher hast du das?»
Ich deutete stumm auf den Boden.
«O Gott», sagte Hanna. Sie packte mich am Arm. «Komm!»
«Aber meinst du nicht, dass wir hierbleiben müssen. Die Feuerwehr hat doch bestimmt Fragen an uns und …»
«Wir haben auch Fragen, die endlich beantwortet werden müssen.» Hanna hatte mich am Arm gepackt und zog mich hinter sich her. Ich nickte. Und obwohl ich am liebsten in die Gegenrichtung in mein ruhiges sicheres Leben geflohen wäre, lief ich hinter ihr her in die Dunkelheit.
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FABIENNE
Ich hatte den Benzinkanister neben den Rasenmäher gestellt, den Kittel an den Haken gehängt und die alte Tasche wieder im Regal verstaut. Auch das Fahrrad brachte ich in den Schuppen und schloss dann sorgfältig ab. Den Schlüssel hängte ich an den Nagel neben der Tür, dort, wo er hingehörte. Tante Hiltrud mochte es nicht, wenn man ihren Alltag in Unordnung brachte. Und sie hatte ja recht. Man muss eine gewisse Ordnung aufrechterhalten, wenn man das Chaos verhindern will. Ohne Disziplin verliert man seinen Weg.
Meine Sachen hatte ich schon gepackt, die Reisetasche mit dem schwarzen Kostüm und dem Laptop standen im Dachzimmer neben dem Bett. Ich legte mich auf die Tagesdecke, streifte nur die Schuhe ab und nahm meine Bibel zur Hand. Ich hatte nicht mehr vor zu schlafen. Ich wollte warten, bis es Zeit war, den Wagen zu holen.
Im Licht der Nachttischlampe blätterte ich durch die Seiten des Alten Testaments, ohne wirklich zu lesen. Wie oft schon hatte ich hier Wahrheiten entdeckt, die tiefer gingen als die kargen Erkenntnisse, zu denen unser moderner Verstand fähig ist. Mein Blick blieb an einem Satz hängen.
Wer Sünde zudeckt, der macht Freundschaft; wer aber die Sache aufrührt, der macht Freunde uneins.
Es war heiß in der Dachkammer. Auf meinen Wangen, meiner Stirn und meinen Händen brannte immer noch die Hitze des Feuers, und als ich für einen Moment die Augen schloss, sah ich es orange hinter den Lidern leuchten. Aber mein Herz schlug ruhig und sicher, als ich die Bibel zuklappen ließ. Ja, genau so war es gewesen.
Wer aber die Sache aufrührt, der macht Freunde uneins.
Ich stand auf, zog meine Schuhe an und ging wieder hinaus in den Garten, in die angenehm kühle Luft der Beerenböker Nacht. Vor Tante Hiltruds Haus setzte ich mich auf die Bank, wo ich das Heulen der Sirenen hörte.
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HANNA
Marie und ich wechselten kein Wort miteinander, während wir auf die Straße liefen und bei nächster Gelegenheit in eine kleine Seitenstraße abbogen.
Das Haus von Fabiennes Tante lag am anderen Ende des Dorfes. Es war auch über die Hauptstraße zu erreichen, aber wir beide waren uns stillschweigend darüber einig, dass es besser war, sie zu verlassen und das Licht der Straßenlaternen zu meiden.
In der Ferne hinter uns war die herannahende Feuerwehr zu hören, und wir beschleunigten unsere Schritte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Beerenböker neugierig in ihre Vorgärten treten würden.
Verdächtig!, dachte ich panisch. Zwei Frauen, die sich eilig vom Brand entfernen. Ich hatte aufgelegt, als der Beamte mich am Telefon nach meinem Namen gefragt hatte – aber wenn uns jetzt jemand sehen würde … Egal, es war egal, oder? Wir hatten ein Feuer entdeckt und es gemeldet, weiter war nichts. Und dann waren wir zu unserer Freundin gelaufen. Warum wir nicht auf die Feuerwehr gewartet hatten? Es gab keine Erklärung. Keine, die ich offenbaren konnte. Durfte.
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