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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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hätte es auch bereut, wenn ich es nicht getan hätte.»
    «Gut.»
    Marie beugte sich zur Weinflasche vor und goss mir den letzten Rest ein.
    «Ich hol noch eine Flasche, ja?», sagte sie. «Du kannst im Gästezimmer schlafen.»
    Ich nickte. «Gut. Das ist gut.»
    Als sie aufstand und sich dem Haus zuwandte, blieb sie verwundert stehen und zeigte in Richtung Straße.
    «Da qualmt was.»
    «Lass es qualmen.»
    «Nein, guck doch mal.»
    Ächzend drehte ich mich auf den Bauch. Nicht weit entfernt, in Richtung Dorfende, stieg eine dichte Rauchwolke auf. Marie streckte mir auffordernd die Hand entgegen.
    «Komm!», drängte sie. «Das sieht nicht gut aus.»
    Ich ließ mich von Marie hochziehen und folgte ihr ums Haus herum zur stillen, leeren Landstraße, die sich durch Beerenbök zog. Der tiefschwarze Qualm puffte stoßweise hoch, fünf, sechs Häuser weiter auf der gegenüberliegenden Seite. Marie preschte los wie ein junges Reh. Ich hechelte ihr hinterher und verfluchte dabei meine Raucherlunge, die sich schon nach wenigen Metern meldete.
    «Das ist die alte Post!», rief Marie mir über die Schulter zu. «Das ist bei Christian!»
    «Der ist weg», keuchte ich. «Konzert in Lübeck!»
    Wir stürmten durch das Gartentor, am Haus vorbei in den rückwärtigen Garten, und prallten auf eine Hitzewand. Das Feuer brannte breit und hoch, nur wenig entfernt von der Terrasse. Es loderte im Ruderboot, das dort abgestellt war, fraß sich in sein Holz und versprengte sprühende Funken auf den trockenen Rasen.
    «Feuerwehr!», rief Marie, während sie versuchte, eine sich knisternd durchs Gras schlängelnde Flammenspur auszutreten. «Ruf die Feuerwehr! Ich hab mein Handy nicht dabei!»
    «Ich auch nicht!» Eine Sekunde, bevor ich zum Nachbarhaus mit seinen heruntergefahrenen Rollläden sprinten wollte, entdeckte ich, dass Christians Terrassentür offen stand. Dumme Polizei, schoss es mir durch den Kopf, als ich in sein Wohnzimmer eilte und hektisch nach dem Telefon suchte. Es stand im Flur, und ich wählte die 110 , weil ich keine andere Notfallnummer kannte. Es schien mir endlos zu dauern, bis jemand den Hörer aufnahm und ein schläfriger Polizist sich schließlich meldete. Doch dann wurde er schlagartig hellwach und versprach, dass die Feuerwehr sich auf der Stelle auf den Weg machen würde.

[zur Inhaltsübersicht]
    MARIE
    Ich hatte mich beherrschen müssen, um nicht hinter Hanna her ins Haus zu laufen. Es war unheimlich, so allein neben dem brennenden Boot zu stehen, aus dem die Flammen immer höher schlugen. Was, wenn ein Windstoß Funken aufwirbelte, sie auf mein Haar oder mein Kleid blies und ich selbst Feuer fing? Unwillkürlich trat ich ein paar Schritte zurück. Wie lange die Feuerwehr wohl brauchen würde? Ich hatte keine Ahnung. Obwohl die Beerenböker Bauern schon damals jedes knutschende Liebespaar in ihren Scheunen als potenzielle Brandstifter betrachtet hatten, konnte ich mich an kein größeres Feuer hier im Umkreis erinnern.
    Besorgt betrachtete ich die Flammen, die bereits einen Teil des Rasens erfasst hatten. Bei der Trockenheit der vergangenen Wochen würde hier in Windeseile alles in Flammen stehen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das Feuer auf das Haus übergreifen würde. Und mir fiel nicht mehr ein, als hier zu stehen und zuzuschauen. Ich biss mir auf die Lippen. Erstaunlich, dass noch nicht halb Beerenbök auf den Beinen war, um zu sehen, was los war! Schliefen die alle derartig fest? Aber im Grunde war ich froh, nicht erklären zu müssen, wieso Hanna und ich als Erste am Brandort gewesen waren. Ich jedenfalls verspürte nicht die geringste Lust, angetrunken, wie ich war, Fragen zu beantworten. Obwohl ich keine Schuld an diesem Feuer trug, hatte ich ein ungutes Gefühl, ähnlich wie bei Fahrscheinkontrollen im Bus, wo mir oft trotz gültiger Karte unwohl war.
    Endlich kam Hanna aus dem Haus gestürzt.
    «Hast du die Feuerwehr erreicht?»
    Sie nickte. «Sind unterwegs.»
    «Gott sei Dank!» Ich atmete auf und sah zum Haus hinüber. «Was meinst du: Wollen wir schon mal anfangen?»
    Hanna sah mich verständnislos an. «Womit?»
    «Na, mit Löschen! In Christians Haus muss es doch Eimer und so geben, damit können wir Wasser holen und …»
    Hanna tippte sich an die Stirn. «Marie! Also echt! Das bringt doch nichts! Außerdem ist die Feuerwehr jeden Moment da.»
    Sie hatte recht. Hilflos starrte ich in die Flammen. «Ausgerechnet das Boot … was für ein seltsamer Zufall!»
    «Zufall?» Hanna

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